Das Pilgern erlebt nach Einschätzung des Stader Regionalbischofs Hans Christian Brandy auch im protestantischen Bereich "einen ungeheuren Boom". Das sei nicht selbstverständlich, sagte der leitende evangelische Theologe am Freitagabend zur Eröffnung der Ausstellung "Pilgerspuren - Wege in den Himmel" in Stade. "Die Reformation hat dem mittelalterlichen Pilgerwesen ein Ende gemacht, und zwar, weil sie ihm von innen her die Grundlage entzog." Mit dem Glauben, dass man durch Wallfahrten sein Seelenheil finden könne, habe Martin Luther Schluss gemacht.
"Allein durch die Gnade Gottes, allein durch Christus ist der Mensch vor Gott angenommen und bejaht, dazu kann und dazu muss er nichts tun - auch keine Pilgerfahrten", führte Brandy laut Redemanuskript aus. Die Ausstellung mache vor diesem Hintergrund deutlich, dass eine Verbindung zwischen dem mittelalterlichen Pilgerwesen und dem heutigen Pilgerboom falsch sei. Pilgern heute sei der Ausstieg aus der Spirale der Beschleunigung, aus dem Überangebot an Konsum und eine Konzentration auf die Freiheit des Augenblicks, verbunden mit Fragen zur Grundlage des Lebens und des Glaubens.
"Das Pilgern erinnert uns daran, dass wir alle auf der Wanderschaft sind durch diese Zeit - und dass für jeden von uns diese Wanderschaft endlich ist", ergänzte Brandy. Der Regionalbischof hatte im vergangenen Jahr selbst eine Pilgertour gemacht. Er legte dabei in zehn Wochen auf dem Fahrrad zwischen der schottischen Insel Iona und Jerusalem 5.825 Kilometer und 37.486 Höhenmeter zurück.
Im Stader Museum "Schwedenspeicher" werden bis zum 14. Februar spätmittelalterliche Pilgerspuren aus Norddeutschland dokumentiert. Im Fokus stehen Wallfahrten zu Kapellen, Klöstern, Stifts- und Domkirchen in Niedersachsen. Die Schau ist der zweite Teil einer Doppelausstellung, die gemeinsam mit dem Museum Lüneburg entwickelt wurde. In Lüneburg geht es seit Ende Juli und noch bis Anfang November um die großen Fernwallfahrten nach Santiago de Compostela, Jerusalem und Rom.
Zurück zu den Ursprüngen des Pilgern
"Die beiden Ausstellungen nehmen das Publikum mit zu den Ursprüngen des Pilgerns und machen deutlich, wie komplex die Vorstellungswelt vor über 500 Jahren war", erläuterte Sebastian Möllers, Direktor in Stade. "Während Pilgerreisen heute oft ein spirituelles Erlebnis oder einfach ein Synonym für entschleunigte Wanderungen sind, waren sie früher essenziell für den Sündenablass und zur Erlangung des Seelenheils." Die Doppelausstellung steht unter der Schirmherrschaft des hannoverschen evangelischen Bischofs Ralf Meister und des Hildesheimer katholischen Bischofs Heiner Wilmer.
Ausgangspunkt für die Ausstellung in Stade sind die Pilgerzeichen, die 2012 und 2013 bei Grabungen im historischen Hansehafen der Stadt aus dem Schlamm geborgen wurden. "Diese mittelalterlichen Bildzeichen eröffnen einen Blick auf die vielfältigen Geschichten hinter den früheren Pilgerstätten in Norddeutschland und tragen maßgeblich zu ihrer Identifizierung bei", erläuterten die Ausstellungsmacher.