Der moderne Tierschutz hat auch christliche Wurzeln. Dafür steht zum Beispiel der im 12. Jahrhundert geborene heilige Franziskus, der Tiere als eigenständige Wesen wahrnahm. Sein Gedenktag, der 4. Oktober, ist heute Welttierschutztag. Später rief der Urwaldarzt und evangelische Theologe Albert Schweitzer zur "Ehrfurcht für das Leben" auf. Und der erste deutsche Tierschutzverein wurde 1837 in Stuttgart von einem Pfarrer ins Leben gerufen, von Albert Knapp. Die Gründung geht auf Ideen des württembergischen Pfarrers Christian Adam Dann (1758-1837) zurück.
Doch bei den Themen Tierschutz, Tierwohl und Tierleid verhalten sich beide großen Kirchen heute eher still. Öffentliche Erklärungen dazu sind selten. Der katholische Theologe Thomas Ruster attestiert den Kirchen sogar eine "Tiervergessenheit". Gegen ein von Gewalt geprägtes Verhältnis zwischen Mensch und Tier müssten Christen ihre Stimme lauter erheben, sagte Ruster dem epd. Er lehrt Dogmatik und Systematische Theologie an der Technischen Universität Dortmund und arbeitet mit Mitstreitern zurzeit an einer neuen "Theologie der Tiere".
"Im Mittelpunkt des Christentums steht allein der Mensch", analysiert der Philosoph Richard David Precht. Daran ändere auch der "allegorische Zierrat nichts, der Jesus zum 'Lamm Gottes' erklärt, den frühen Christen den Fisch als Symbol mitgibt und den Evangelisten Tiere zuordnet", schreibt Precht in "Tiere denken" von 2016. Auch berühmte Ausnahmen wie der sagenumwobene Kirchenvater, Eremit und Bibelübersetzer Hieronymus (347-420), der selbst seine beiden Löwen vegetarisch ernährt haben soll, rüttelten nicht viel an der Idee von der Vorherrschaft des Menschen.
Die offensichtliche Zurückhaltung der Kirchen beim Tierschutz liege sicherlich an einem tief eingewurzelten Weltbild, in dem der Mensch etwas Höheres sei, das Ebenbild Gottes, sagt auch Theologe Ruster. Aber er fragt: "Selbst wenn es so einen grundlegenden Unterschied zwischen Mensch und Tier geben sollte: Rechtfertigt er es, die Tiere so zu behandeln, wie wir sie behandeln?"
"Obwohl das Thema Tierwohl und Tierethik eine so hohe Relevanz in der Gesellschaft hat, haben sich die Kirchen sehr lange nicht mehr dazu geäußert", räumte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, zur Veröffentlichung des EKD-Textes "Nutztier und Mitgeschöpf!" von 2019 ein. Fast 30 Jahre davor hatte die EKD zuletzt eine größere Schrift zum Tierwohl vorgelegt. "Auch in der theologischen Ethik und in der Diskussion der weltweiten Ökumene wurden in den letzten 20 Jahren die Fragen der Tierethik kaum behandelt", erklärte Bedford-Strohm.
"Der Mensch hat nichts voraus vor dem Vieh" - mit diesem Bibelzitat begann dann das neue Papier. In ihm forderte die evangelische Kirche von Landwirtschaft, Handel und Verbrauchern mehr Wertschätzung für Tiere und eine Reduzierung des Fleischkonsums.
Kritikerin: "Nur schöne Worte - ohne Umsetzung"
Als Meilenstein für einen anderen Umgang mit den Tieren galt vielen die 2015 von Papst Franziskus veröffentlichte Umwelt-Enzyklika "Laudato si?". Darin preist Franziskus seinen heiligen Namensvetter aus dem Mittelalter, den Schutzpatron der Tiere, als Vorbild. Gleich ihm betont der Papst den Eigenwert der Tiere: "Der letzte Zweck der anderen Geschöpfe sind nicht wir." Das bundesweite Netzwerk "Aktion Kirche und Tiere" bewertet die päpstliche Enzyklika als großen Fortschritt, auch wenn die Kirchen mit der Rezeption "bestenfalls am Anfang stehen".
Die Berliner Tierrechts-Aktivistin und Philosophin Friederike Schmitz sieht in beiden großen Kirchen zwar durchaus interessante Ansätze, die das Leid der Tiere etwa in der Massentierhaltung oder bei Tierversuchen zumindest wahrnehmen. Jedoch höre man nur "schöne Worte, und Statements zum Thema Tiere als Mitgeschöpfe, aber die Umsetzung fehlt", sagt die Tierethikerin dem epd. Schmitz vermisst konkrete Schritte: "Sie meinen es offenbar nicht ernst."
Die Kirchen würden weiterhin nichtmenschliche Geschöpfe herabsetzen, kritisiert sie. Damit werde eine Herrschaft über die Tiere legitimiert, die längst nicht mehr zeitgemäß sei: "Die Kirchen handeln nicht anders als die Gesellschaft insgesamt." Ihr Fazit: Würden die Kirchen ihre eigenen Stellungnahmen ernst nehmen, müsste das dazu führen, dass "sie die Nutztierhaltung in der gegenwärtigen Form ablehnen."
Christen müssten beim aktiven Schutz der Tiere vorangehen, sie müssten vor allem das Leiden der Tiere sichtbar machen, fordert der Dortmunder Tierethiker Ruster: "Dieses Leid ist oft nicht sichtbar, findet etwa in geschlossenen Schlachthöfen statt, man sieht es nicht an der Fleischtheke." Ein starkes "prophetisches Zeichen" wäre es, wenn Menschen nicht wegen der Gesundheit, sondern eben wegen der Tiere auf Fleischkonsum verzichteten. Wenn es nach ihm ginge, müsse man in diesem Punkt das Denken umkehren: "Nicht der Vegetarier oder Veganer, sondern der Fleischesser müsste sein Verhalten begründen."