In der Atelier-Werkstatt von Michael Olsen herrscht das geordnete Chaos. Alte Fahrräder, Farben, Werkzeuge liegen und stehen auf Werkbänken. In der Luft schwebt ein feiner Duft von Maschinen-Öl. Mittendrin hockt der 60-jährige Oldenburger und selbst ernannte "Kunsttechniker und Visionär" auf einem alten Stuhl und weist auf das rund dreieinhalb Meter lange merkwürdige Lastenfahrrad in der Mitte des Raumes. Auf dessen vorderer Ladefläche ruht ein echter Sarg aus hellem Holz. "Ist alles absolut straßentauglich und entspricht den Vorgaben der Straßenverkehrsordnung", sagt er und lacht auf.
"Klar", sagt Olsen, "als ich meine Probefahrten mit dem Sarg unternommen habe, haben mir die Leute mit großen Augen nachgesehen." Kinder starrten mit offenen Mündern, einige Radfahrer zeigten "Daumen hoch", andere Passanten wiederum schimpften, so etwas sei geschmacklos. "Ein Friedhofsgärtner hat mich überholt und ein paar Meter weiter angehalten. Der war einfach nur begeistert."
Tod wieder sichtbar machen
Doch Michael Olsen ist kein Projektkünstler, der Menschen schockieren und provozieren will: "Ich will, dass die Themen Tod und Sterben wieder in die Öffentlichkeit und in die Normalität zurückgeholt werden." Früher seien die Särge öffentlich zum Friedhof getragen oder mit einer Kutsche gefahren worden. "Heute werden sie fast heimlich, in unauffälligen Leichenwagen transportiert." Zusammen mit einer Bestatterin will der quirlige Mann mit seinem Spezialfahrrad nun dafür sorgen, dass sie wieder sichtbar werden.
Die Themen Sterben und Tod begleiten und beschäftigen Olsen schon ein Leben lang. In seiner Familie spielte die Kirche immer eine große Rolle, sein Vater war Kirchenmusiker. "Der Tod und Beerdigungen waren täglicher Gesprächsstoff." Er selbst hat zahlreiche Krankheiten und Unfälle überstanden, die andere vermutlich nicht überlebt hätten. Zuletzt stürzte er im Frühjahr mit einer laufenden Kettensäge von einem Baum und verletzte sich schwer am Rücken. "Die nächste OP ist bald fällig."
400 Kilo mit Zahnrad-Lenkung
Irgendwann sei in ihm die Erkenntnis gereift: "Ich bin sterblich. Aber es gibt ein Leben vor dem Tod, und das Sterben gehört zum Leben dazu." Eltern schenkten einem Kind mit der Geburt das Leben, was ein Grund zur Freude sei, sagt der Künstler, der sich selbst als "Kapitalismuskritiker und Pedant" beschreibt. "Gleichzeitig schenken sie ihm aber auch den Tod. Aber der wird aus der Öffentlichkeit und der Gesellschaft verdrängt."
Die Idee vom Sarg auf dem Rad stamme nicht von ihm, räumt Olsen ein: "Die kam vor etlichen Jahren von meiner Mutter. Sie wollte gerne von mir mit dem Rad auf den Friedhof gebracht werden." Leider sei es dazu nicht mehr gekommen. Olsens Mutter starb, bevor die Idee zur Realität wurde.
Rund dreieinhalb Jahre habe er von der Idee bis zur Umsetzung gebraucht, berichtet der Tüftler, der sich in jungen Jahren ohne Lehre zur Gesellenprüfung zum Zweirad-Mechaniker anmeldete und prompt bestand. Beim Bau des Bestattungsfahrrades musste er zahlreiche Probleme meistern. Am Ende entstand ein muskelbetriebenes Unikum mit Scheibenbremsen, das mit Sarg auf ein Gesamtgewicht von rund 400 Kilogramm kommt. Der mit einer kleinen Reling umgebene Sarg liegt vorn zwischen zwei Rädern, festgezurrt mit Spanngurten. Gesteuert wird das Rad mit einer von Olsen erfundenen Seilzug-Zahnrad-Lenkung über das Hinterrad. Es zu steuern sei durchaus "tricky", erzählt er.
Unterstützt wird Olsen von der Oldenburger Bestatterin Ellen Matzdorf, die das Sarg-Rad künftig bei Bedarf einsetzen will. Sie kann der Vorstellung, dass Geburt, Leben und Sterben zusammengehören, eine Menge abgewinnen: "Ich bin im ersten Beruf Hebamme." Als Olsen zusammen mit Freunden in ihrem Geschäft einen Sarg für eine Trauerfeier bemalte, kamen die beiden ins Gespräch. "Und ich war gleich interessiert."
Kritische Kommentare, ein Sarg auf dem Fahrrad sei pietätlos, weist sie zurück. "Das ist alles andere als pietätlos. Als pietätlos könnte man es allenfalls bezeichnen, einen passionierten Radfahrer oder eine Radfahrerin in der Fahrradstadt Oldenburg mit dem Auto auf den letzten Weg zu schicken." Interessenten, die auf ihrem letzten Weg mit dem Fahrrad kutschiert werden wollen, gebe es schon.