"Ich kann es fast nicht fassen", sagt Sönke von Stemm. Noch am frühen Morgen hatte der Pastor der Kirchengemeinde Münchehagen an alle Familien ein Foto vom sonnigen Kirchplatz geschickt - die Konfirmation kann draußen stattfinden. "Wir haben gepokert. Ein echten Plan B hatten wir nicht", sagt der Pastor. "Bei schlechtem Wetter wären wir natürlich in die Kirche gegangen, aber dann hätten viele draußen bleiben müssen."
Wie in den meisten Gemeinden hat die Konfirmation auch in Münchehagen einen festen Termin: der zweite Sonntag nach Ostern. Und wie überall durchkreuzte die Corona-Pandemie die Feierpläne. Landauf, landab wurden die Konfirmationen in den Herbst, mitunter gar auf 2021 verschoben - ohne zu wissen, wie lange die Ausnahmesituation dauern wird.
In Münchehagen, gelegen unweit des Steinhuder Meeres rund 40 Kilometer östlich von Hannover, ist es schon jetzt so weit. 13 Jugendliche werden an diesem spätsommerlichen Sonntag mit Sonne-Wolken-Mix als vollwertige Mitglieder in die Kirche aufgenommen. Wer sich konfirmieren lässt, sagt "Ja" zur eigenen Taufe, darf am Abendmahl teilnehmen, das Patenamt ausüben und den Kirchenvorstand wählen. Pastor Sönke von Stemm blickt in viele erwartungsvolle Gesichter. Rund 220 Angehörige, Freunde und Gemeindemitglieder sind gekommen; in den kleinen Kirchraum hätten schon unter normalen Umständen nur 130 Menschen gepasst.
Nun verteilen sich die Gäste draußen auf dem Kirchplatz unter urigen Bäumen auf Klappbänken, die zu "Familieninseln" zusammengestellt wurden. Eine professionelle Tontechnik-Firma, die tags zuvor den Abtswechsel in Loccum betreut hat, sorgt für die reibungslose Beschallung. Beim Einzug tragen die Konfirmand:innen zum feierlichen Kleid oder Anzug schwarze Gesichtsmasken mit dem Aufdruck "Konfirmation 2020".
Sönke von Stemm sagt zur Begrüßung, er habe noch nie zuvor so viele Wetter-Apps auf seinem Handy aufgerufen wie in den vergangenen Tagen. Dankbar blickt er zum Himmel: "Das hier hat keine vorausgesagt." In Richtung der Konfirmand:innen fährt er fort: "Wir hoffen, dass ihr diesen Gottesdienst nicht als Notlösung empfindet, sondern als Fest für euch."
Die im März geplatzte Freizeit in Cuxhaven konnten die Jugendlichen Ende der Sommerferien noch nachholen. In seiner Predigt zeigt sich der 54-jährige Gemeindepastor beeindruckt davon, "dass ihr so wahnsinnig ernsthaft nachdenkt und schwierigen Fragen nicht aus dem Weg geht". Fragen nach Krieg, Rassismus, Klimawandel, Corona - und wo Gott bei alledem ist. Viele glaubten, man könne nichts tun. "Ich weiß, dass ihr das könnt", sagt von Stemm. "Ihr seid von Gott geliebte Menschen und fähig, diese Liebe weiterzugeben."
Rund 25 Kilometer weiter östlich, in Wunstorf-Luthe, steht der aufregende Tag noch bevor. Die verschobenen Konfirmationen sind für den 10. und 11. Oktober geplant. Zwei Termine hätten es wegen der beengten Verhältnisse in der Kirche ohnehin sein sollen, nun plant Pastorin Marit Ritzenhoff einen dritten am Samstag um 13.30 Uhr. Eine Online-Terminabfrage ergab: Für diesen Termin kann sich bislang keine Familie so recht erwärmen.
"Also werden wir wohl losen müssen", sagt die Pastorin. Die weitere Planung steht: Zwischen den Kirchenbänken, in die jeweils sieben bis acht Leute passen, bleibt immer eine Reihe frei. Die Jugendband spielt in allen drei Gottesdiensten, die Sänger stehen hinter einer Plexiglasscheibe. Anders als in Münchehagen konnte die Konfifreizeit Anfang März gerade noch stattfinden, dann kam der Lockdown. Die Gruppe konnte sich nicht mehr sehen, alle Termine wurden verschoben.
"Das war schon doof", sagt Justin Winkler (15), dessen Familie ursprünglich aus Frankfurt/Oder stammt und der sich erst vor zwei Jahren taufen ließ. Der Konfirmationsspruch, den er sich ausgesucht hat, erscheint unter Corona-Umständen in einem neuen Licht: "Euer Herz soll sich freuen und eure Freude soll niemand von Euch nehmen."
Andreas Behr, Dozent für Konfirmanden-Arbeit am Religionspädagogischen Institut Loccum (RPI), empfiehlt, die Pandemie in Texten und Ansprachen nicht auszublenden: "Auch die Konfis erleben eine Krise. Sie haben Angst um ihre Angehörigen und sich selbst." Die Kirche habe, nicht zuletzt mit Worten aus der Bibel, etwas gegen die Angst zu sagen. "Viele Jugendliche befürchten, dass sie nach der Krise Freundschaften verloren haben werden", unterstreicht Behr. "Sie werden in eine Gemeinschaft konfirmiert, die verlässlich ist und nicht an der Krise zerbricht. Das kann eine Einladung in die kirchliche Jugendarbeit sein." In Münchehagen scheint das gelungen zu sein: Bei den 13 Konfirmand:innen ist die Euphorie aktuell so groß, dass alle als Ehrenamtliche dabeibleiben wollen.