Der Religionsunterricht hatte keinen leichten Stand im zu Ende gegangenen Schuljahr. Oft musste er wegen Corona hinter den Kernfächern zurückstehen oder fiel ganz aus. Und das in einer Zeit, in der Religionslehrkräfte besonders in der Lage gewesen wären, auf Problemerfahrungen, Ängste und Isolation der Kinder einzugehen. Stattdessen halfen die Lehrkräfte bei der Notbetreuung aus oder gaben Vertretungsunterricht.
Im neuen Schuljahr soll sich das ändern: Der Religionsunterricht soll wieder entsprechend Berücksichtigung finden, forderte der kirchliche Schulreferent Oliver Spilker (Landshut). Einer drohenden Marginalisierung wolle die evangelische Kirche offensiv entgegentreten - mit einem gezieltem Einsatz der Personalressourcen sowie einer Aufwertung des Berufsbildes von Religionslehrkräften.
Im Kirchenkreis Regensburg hat die Offensive bereits begonnen. Bei der Vocatiofeier, der kirchlichen Berufung für staatliche Religionslehrkräfte, würdigte Regionalbischof Klaus Stiegler den Dienst der Lehrkräfte: "Vielleicht sind Sie die Ersten, die mit den Kindern über die großen Fragen des Lebens reden, und vielleicht sind Sie sogar die Einzigen", sagte er. Insgesamt neun staatliche Lehrerinnen und zwei Lehrer aus Niederbayern, der Oberpfalz und Ingolstadt erhielten den Segen für ihren Dienst. Stiegler unterstrich, dass der Glaube "existenzrelevant" für das Leben sei, auch wenn er möglicherweise nicht mehr für gesellschaftlich systemrelevant gehalten werde. Denn der christliche Glaube versetze Menschen in die Lage, Spannungen des Lebens auszusprechen und auszuhalten.
Stiegler zufolge nehmen Religionslehrkräfte bei der Vermittlung eines evangelischen Profils "eine Schlüsselrolle" ein, weil sie die gesamte Bandbreite der Kinder im Unterricht erfassten. So erhält jedes fünfte Kind in Bayern evangelischen Religionsunterricht. "Wir brauchen Sie als Kirche", sagte Stiegler zu den Pädagoginnen, die hoch motiviert und mit Herzblut bei der Sache seien.
Keine Nachwuchsprobleme
Doch nicht immer kämen diese Kräfte auch zum Einsatz. Wegen des Lehrermangels an Grund- und Mittelschulen müssen Religionslehrkräfte häufig Deutsch, Englisch und Mathematik unterrichten. Der Religionsunterricht falle für sie dabei unter den Tisch, berichtete Manfred Pirner, Professor für Religionspädagogik an der Universität Erlangen-Nürnberg: "Wir wissen von Absolventinnen, die jahrelang keinen Religionsunterricht erteilt haben, auch wenn sie Religion im Hauptfach hatten", sagte er. Bei den Lehrerinnen und Lehrern stößt das Vorgehen der Schulleitung oft auf wenig Verständnis: "Es erfüllt mich mit Sinn und Freude, an die wichtigen Lebensthemen heranzugehen und ihnen eine Welt zu erschließen, die sie noch nicht kennen", berichtete eine der jungen Lehrerinnen beim Vorgespräch für die Vocatio. "Das Interesse bei den Kindern ist da", sagte sie.
Auch der Studiengang Religionslehre sei bei den Studentinnen beliebt, Nachwuchsprobleme gebe es nicht, erläuterte Pirner. Die Zahl der Studierenden mit Religion als Haupt- oder Nebenfach sei sogar leicht ansteigend. Der Religionsdidaktiker vermutet deshalb: "Der Religionsunterricht soll kirchlichen Lehrkräften überlassen bleiben, damit staatliche Kräfte nicht verschlissen werden."
Effekte der Stellenkürzungen auf den Religionsunterricht unbekannt
Doch diese Rechnung scheint immer weniger aufzugehen. Derzeit unterrichten in Bayern mit 53 Prozent mehr als die Hälfte kirchliche Lehrkräfte das Fach Evangelische Religionslehre, sagte Jochen Bernhardt vom Landeskirchenamt in München. Das Verhältnis sollte bei 50 zu 50 sein, das regelt ein Staatsvertrag. Die Kirche erhalte zwar eine Vergütung für die zusätzlich geleisteten Stunden und habe auch das Privileg, vorrangig in Grund-, Förder- und Mittelschulen zu unterrichten. Aber sie müsse auch das entsprechende Personal an Schulpfarrern und Religionspädagogen aufbringen können. "Dramatisch ist die Lage noch nicht", sagte Bernhardt, "aber wir können auch nicht endlos Personal beisteuern".
Verschärfen könnte sich die Situation bereits durch die neue Landesstellenplanung, die im Frühjahr 2021 von der Landessynode, dem evangelischen Kirchenparlament, verabschiedet werden soll. Welche Effekte die Stellenkürzungen insgesamt haben werden, sei noch nicht absehbar, erläuterte Bernhardt. Eine Flexibilisierung der Stellen stehe auf dem Plan. Danach könnte zum Beispiel das Religionsdeputat eines Ortspfarrers abgegeben werden zugunsten anderer Seelsorgebereiche.
Relativ lange Studiendauer bei bisher eingeschränkten Berufsaussichten
In die Bresche springen sollen laut Angaben des Landeskirchenamtes die studierten kirchlichen Religionspädagogen. Doch sie sind nicht nur in der Schule im Einsatz. Ein Teil von ihnen geht in den Gemeindedienst. Oder übernimmt gar eine Pfarrstelle, wie ab September in einem Fall im Kirchenkreis Regensburg. Das Problem dabei ist nur, dass die Zahl der Absolventinnen an der evangelischen Hochschule Nürnberg (EVHN) seit Jahren zurückgeht. Heuer rechnet Jörg Lanckau, Studiengangsleiter für Religionspädagogik, noch mit zehn Berufsanfängern bei insgesamt 60 kirchlichen Religionspädagogik-Studentinnen. Er nennt ein Bündel an Gründen für das abnehmende Interesse an dem Fach, unter anderem aber auch die relativ lange Studiendauer bei bisher eingeschränkten Berufsaussichten.
Mit verschiedenen Maßnahmen will die Kirche gegensteuern. Zum Beispiel sollen sich künftig Katecheten in einem Oberseminar nachqualifizieren können und als Lehrkräfte eingesetzt werden. "Wir sitzen da nicht wie das Kaninchen vor der Schlange", sagte Bernhardt. Eine Marginalisierung des Religionsunterrichts sei für die Landeskirche keine Option.
Rückendeckung für den Religionsunterricht
Schulreferent Spilker sieht derweil Chancen, den Trend zu drehen. Hoffnung mache ihm dabei ein aktuelles Schreiben des Kultusministeriums, das "eine Rückendeckung für den Religionsunterricht" bedeute, wie er sagte. Darin werde das konfessionelle Unterrichtsfach als wichtig eingestuft. "Der Staat steht hinter uns", sagte Spilker. Sollten Religionslehrer künftig nicht in ihrem Fach, sondern in anderen Kernfächern eingesetzt werden, empfahl er den Pädagogen, dies dem kirchlichen Schulreferat zu melden.