Eigentlich ist es ein Grund, rundum glücklich zu sein: Das Zentralarchiv der pfälzischen Kirche mit seinem großen Fundus an Akten und Dokumenten zur regionalen Kirchengeschichte hat von Jahr zu Jahr mehr zu tun. Historiker und Ahnenforscher wälzen im Lesesaal viel Papier und bekommen Hilfe vom Archivpersonal. Zudem gibt es Lesekurse für alte Handschriften und Drucke. Pfarrer und kirchliche Verwaltungsmitarbeiter lassen sich in einer zukunftsgerichteten Aktenführung fortbilden. Auch bei der Online-Recherche greifen Interessierte über das evangelische Kirchenbuchportal "Archion" auf die digitalen Schätze des landeskirchlichen Archivs zurück.
"Doch wir platzen aus allen Nähten", sagt Archivdirektorin Gabriele Stüber, etwas schwankend zwischen Geburtstagsfreude und Kummer. Viele Pfarrämter trennten sich von ihren Aktensammlungen und schickten sie "nach Speyer". Das Zentralarchiv am dortigen Domplatz 6 mit seinen bemerkenswerten Sammlungen, etwa zur Ostasienmission, zur Volksfrömmigkeit sowie zu Gesangbüchern und Bibeln, hat im 90. Jahr seines Bestehens vor allem eines: ein großes Platzproblem und, wie viele andere Einrichtungen auch, zu wenig Personal.
Schon seit Jahren habe das Archiv mehr Platzbedarf angemeldet und suche ein Außenmagazin in oder um Speyer, erzählt Stüber. Am 27. Mai 1930 ordnete der Landeskirchenrat die Gründung eines Archivs an, die Pfarreien wurden aufgefordert, genaue Verzeichnisse ihrer Akten zu erstellen. Nach der Trennung von Staat und Kirche 1919 im Zuge des Ersten Weltkriegs erkannte die Landeskirche, dass sie ihre regional in Pfarrämtern und Dekanaten verstreuten Unterlagen in einem zentralen Archiv sichern müsse, erläutert Stüber.
Nur dadurch, so das Kalkül der Kirchenleitung, könne man seine Rechte gegenüber staatlichen Stellen und Privatpersonen geltend machen - und zugleich eine Erforschung der landeskirchlichen Geschichte ermöglichen. Auch die Feier des 400. Protestationsjubiläums 1929 in Speyer habe die Identität der Pfälzer Protestanten gestärkt und die Bedeutung historischer Dokumente bewusstgemacht.
Kirchenbücher und Archiv der Ostasienmission
Heute bewahrt das Zentralarchiv etwa 5.500 Regalmeter Unterlagen auf, davon 312 Pfarrarchive, 20 Dekanatsarchive und 189 Nachlässe. Das internationale Interesse richtet sich vor allem auf Kirchenbücher und das Archiv der Ostasienmission. Dieses wird seit 1977 aufbewahrt und dokumentiert die Arbeit des 1884 in Weimar gegründeten "Allgemeinen Evangelischen Missionsvereins" mit zahlreichen Akten, Fotos, Glasdias, Filmen und Nachlässen. "Aufgrund geringer Personalressourcen werden Projektmittel eingeworben, um die Massen zu bewältigen, die regelmäßig eingehen", sagt Stüber.
Über Wanderausstellungen, die Presse, Fachliteratur und das Internet vermittelt das Archiv die gesellschaftliche Bedeutung kirchlicher Themen und macht auf seine Bestände aufmerksam. Schulen liefert es etwa Arbeitsmaterialien zur Kirchengeschichte. Das Zentralarchiv sei ein "unbestechlicher Garant der Erinnerungskultur, auch wenn es um dunkle Kapitel der Geschichte geht", sagt Stüber. Das Archivteam half mit bei der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit der Landeskirche. Das Buch "Protestanten ohne Protest" (2016) war dabei ein Meilenstein.
Zum 90. Jahrestag seiner Gründung will das Zentralarchiv die Angebote auf einer überarbeiteten Internetseite präsentieren. "Gerade in Corona-Zeiten hilft die digitale Verfügbarkeit von Unterlagen dabei, Anfragen zu bedienen", sagt Direktorin Stüber.