Am Ende seines Lebens war er blind. Dabei hatte der württembergische evangelische Pfarrer Otto Umfrid (1857 - 1920) in seinen Dienstjahren einen scharfen Blick bewiesen. Er kämpfte gegen Nationalismus und Hochrüstung. Für seinen streitbaren Pazifismus wäre er 1914 fast mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Vor 100 Jahren ist er am 23. Mai gestorben.
Der in Nürtingen am Neckar aufgewachsene Umfried, Sohn eines Juristen, studiert Theologie in Tübingen im berühmten Evangelischen Stift. Die erste Pfarrstelle führt ihn nach Peterzell-Römlingsdorf bei Freudenstadt, danach geht's 1890 nach Stuttgart in eine Arbeitersiedlung mit viel Armut.
Umfrid sieht die nationalistischen Umtriebe seiner Zeit und das Pflegen von Feindbildern etwa gegen Frankreich in starkem Kontrast zur christlichen Friedensbotschaft. Deshalb tritt er 1894 der pazifistischen Deutschen Friedensgesellschaft (DFG) bei und gründet fünf Jahre später einen württembergischen DFG-Landesverein. Aufgrund seines Engagements wird die Zentrale der Gesellschaft 1900 von Berlin nach Stuttgart verlegt.
Nach eigenen Worten hält er sonntags zwei bis drei Gottesdienste in Stuttgart und geht dann am Nachmittag auf Vortragstour. Er wird zu einem anerkannten Redner, spricht auf Kongressen und in Kirchengemeinden. Er wirbt für ein starkes Völkerrecht sowie einen europäischen Bund als Vorläufer einer "Symbiose der Menschheit". Und er legt den Müttern Friedenspädagogik nahe: "Menschenliebe sollst du in die Herzen deiner Söhne pflanzen, nicht den Hass der Brüder."
Viele Facetten der Friedensfrage
Seine politische Analyse zeugt von tiefer Besorgtheit: "Der größte Jammer unserer Zeit ist der beständige Kriegszustand, in dem wir leben. Vom Frieden wird geredet; aber was ist das für ein Frieden, in dem die Völker bis an die Zähne gewappnet einander gegenüberstehen!" Insgesamt publiziert er rund 600 Texte, in denen er in vielen Facetten die Friedensfrage beleuchtet.
Bei seinen Pfarrerskollegen kommt sein Engagement gar nicht gut an. Nach seiner Rede in der kleinen Garnisonsstadt Münsingen auf der Schwäbischen Alb bezichtigt ihn der Pfarrer vor Ort der "agitatorischen Friedenshetze". Auch von der Kirchenleitung muss er einen Verweis einstecken.
Publikationsverbot
Im Rückblick sieht der heute für Theologie zuständige württembergische Oberkirchenrat Ulrich Heckel die amtskirchliche Maßregelung als Folge der damaligen "Einheit von Thron und Altar". Das habe sich in den vergangenen hundert Jahren gründlich geändert. "Heute wird es als eine zentrale kommunikative Kompetenz von Pfarrerinnen und Pfarrern geschätzt und gewünscht, Gespräche zu suchen, Diskurse zu fördern und Foren des gesellschaftlichen Austausches anzubieten," schreibt Heckel in einer Erklärung zum 100. Todestag des Pazifisten.
Für Umfrid ist das aus seiner Sicht mangelnde Friedensengagement der Kirche unverständlich. Er ärgert sich, "dass wir diese praktische Gefolgschaft Jesu Christi der kirchenfremden Sozialdemokratie überlassen". In manchen Kreisen scheine das ganze Christentum zum Satz "Seid untertan der Obrigkeit" zusammenzuschrumpfen, klagt er. In Deutschland wird er schließlich mit einem Publikationsverbot belegt und kann danach nur noch in der neutralen Schweiz veröffentlichen.
Aussetzung der Preisverleihung
Fast wäre Umfrid 1914 der erste deutsche Friedensnobelpreisträger geworden. Die österreichische Pazifistin Bertha von Suttner, die 1905 als erste Frau diesen Preis bekommen hatte, setzte sich dafür ein, dass der württembergische Pfarrer auf die Nominiertenliste kommt. Ausgerechnet der Weltkrieg, vor dem er immer gewarnt hat, führt zur Aussetzung der Preisverleihung.
Seine letzten Jahre verbringt der Erblindete mit Frau und Töchtern in Lorch bei Schwäbisch Gmünd, gegen Lebensende muss er mit Depressionen in die Heilanstalt in Winnenden (Rems-Murr-Kreis). Auf dem Stuttgarter Pragfriedhof ist sein Grab. Dort findet auch sein Sohn Hermann die letzte Ruhestädte - er war wie der Vater Pfarrer geworden, der Druck der nationalsozialistischen Machthaber trieb ihn 1934 in den Suizid.
Otto Umfried war schon zu Lebzeiten fast vergessen. Doch ihm ging es im Einsatz für den Frieden nicht um seine Person, sondern um das Wohl der Menschheit. Er wusste, dass es Generationen dauern würde, bis die Weltgemeinschaft Krieg als Mittel der Politik ablehnt. Diese Hoffnung hatte Umfrid nie aufgegeben, denn er schrieb: "Die Utopien von gestern sind die Wirklichkeiten von morgen."