Bedford-Strohm hat sich trotz der Corona-Gefahr für einen leichteren Zugang zu Menschen in Pflege- und Altenheimen ausgesprochen. Wo immer es möglich sei, müsse man den Angehörigen mit Schutzkleidung "Zugang zu ihren Lieben verschaffen", sagte der bayerische Landesbischof in einer am Montag auf Facebook veröffentlichten Videobotschaft. Zudem müsse, wo immer es möglich sei, den Bewohner*innen der Heime selbst die Entscheidung gegeben werden, "wie viele Risiken sie eingehen wollen". In Bayern und anderen Bundesländern besteht weiter ein Besuchsverbot für Altenheime und Pflegeeinrichtungen, Erleichterungen werden derzeit geprüft.
"Viele Angehörige werden immer verzweifelter", so Bedford-Strohm. "Weil dies nie nachzuholen sein wird, dass sie ihren Eltern in diesen Tagen Beistand leisten." Den Heimleitungen sei kein Vorwurf zu machen, betonte der Landesbischof. "Sie tun ihr Bestes, um in den schwierigen Abwägungen die richtigen Entscheidungen zu treffen." Die gehäuften Todeszahlen in manchen Heimen hätten gezeigt, dass das Ansteckungsrisiko real sei. Aber es gehe eben auch nicht, dass Angehörige in den letzten Lebenstagen und Lebenswochen ihre Eltern nicht besuchen können.
Der Satz "Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren" aus den zehn Geboten gehöre "wahrscheinlich zu den persönlichsten Sätzen der Bibel", sagte Bedford-Strohm: "Vater und Mutter haben wir alle." Auch wenn das Verhältnis zu den eigenen Eltern sehr unterschiedlich sein könne, "so spüren wir doch alle diese enge Verbindung. Niemand kennen wir so lange wie unsere Eltern". Deswegen sei es jetzt so schlimm, wenn Angehörige in den Pflege- und Altenheimen wegen der Kontaktbeschränkungen ihre Eltern nicht besuchen können.
Menschliche Nähe ist gefragt
In einem Beitrag für das Magazin "Zeitzeichen" schrieb EKD-Kulturbeauftragter Claussen, eine menschenfreundliche und würdevolle Kultur des Sterbens, des Todes und der Trauer werde durch die Pandemie und die Maßnahmen zu deren Eindämmung massiv in Mitleidenschaft gezogen. "Das 'social distancing' betrifft - verletzt - die Art, wie Menschen sterben und dann aus dem Leben verabschiedet werden." Sterbende, hochbetagte und durch Demenz beeinträchtigte Menschen bräuchten menschliche Nähe, Zugewandtheit und freundliche Berührung, so Claussen. Unter Corona-Bedingungen sei eine sorgsame Sterbebegleitung kaum oder gar nicht möglich. Sowohl die Besuchsverbote als auch die Einschränkungen bei Beerdigungen seien für die Betroffenen sehr schmerzhaft. "Vieles wird sich nachholen lassen, wenn die Lage sich entspannt hat, dies jedoch nicht", betonte der EKD-Kulturbeauftragte.
Natürlich gebe es gute Gründe für die Kontaktverbote, unterstrich Claussen. Es gebe aber auch "sehr gute Gründe, hier über einen schrittweisen Ausstieg aus dem Ausstieg nachzudenken. Denn oft lassen sich die Schäden, die durch die bittere Medizin der Quarantäne angerichtet werden, später nicht mehr wiedergutmachen". Ihm stelle sich die Frage, "ob wir nicht auf dem Weg sind, Hochrisiko-Patienten zu Tode zu retten". Der Beauftragte sprach sich zudem für eine "neue gesellschaftliche Verständigung über Leben und Tod" aus: Wenn mehr Besuche und eine Sterbebegleitung ermöglicht werden sollten, "müssen wir auch - in Maßen - das Risiko akzeptieren, dass mehr hochbetagte Menschen in Pflegeeinrichtungen sterben."
Klatschen allein reicht nicht
Mehr als 1,2 Millionen Menschen arbeiten in deutschen Krankenhäusern, 700.000 in Pflegeheimen. Klatschen allein reicht überhaupt nicht. "Die Beschäftigten wissen ganz genau, was sie brauchen, um ihren Job professionell und sicher ausüben zu können", sagt Sylvia Bühler. Das Vorstandsmitglied der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di leitet den Gesundheitsfachbereich. Wie viele Beschäftigte, die sie vertritt, steht die Gewerkschafterin unter Dauerstrom. Denn auch wenn die große Welle an Corona-Patienten bisher nicht kam: In Kliniken und Pflegeeinrichtungen herrscht die Krise. Und es fehlt an vielem: an Schutzausrüstung, Covid-19 Tests und ausreichend Ruhezeiten. "Viele scheinen zu vergessen, dass Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialwesen keine übernatürlichen Kräfte haben", sagt Bühler.
Auch die Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) schlägt aus Sorge um die psychische Gesundheit der Beschäftigten Alarm. In den meisten Kliniken gebe es aller Corona-Hilfsdebatten zum Trotz keinerlei psychologische Hilfsstruktur für das eigene Personal - obwohl dieses oft extreme Situationen erlebe und sich nun auf eine besondere Krise vorbereite. "Die Situation ist dramatisch", sagt DIVI-Generalsekretär Felix Walcher, Direktor der Unfallchirurgie der Uniklinik Magdeburg. Die Fachgesellschaft hat Empfehlungen zur Mitarbeitergesundheit veröffentlicht, die auch kurzfristig helfen können: abwechseln zwischen emotional belastender und einfacherer Arbeit, Transparenz aktueller Informationen, belastbare Dienstpläne, auf Erholung achten.
Langfristiges Umdenken erforderlich
Marlen Melzer von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, es brauche außerdem ein langfristiges Umdenken. Pflegende stechen in Sachen Arbeitsbelastung seit Jahrzehnten in jeder Studie heraus. Entsprechend seien sie häufiger krank als andere Berufsgruppen und stiegen vorzeitig aus dem Beruf aus, der stark unter Fachkräftemangel leide. Neben Muskel- und Skelett-Erkrankungen belasten die Angestellten das Leiden und Sterben der Patienten und der Umgang mit Angehörigen psychisch, wie die Dresdener Arbeitspsychologin erklärt. In Corona-Zeiten komme erschwerend hinzu, dass Patienten und ihren Angehörigen die Verschiebung von Behandlungsterminen und Kontaktsperren vermittelt werden müssten.
Auch kurzfristig lasse sich aus arbeitsmedizinischer Sicht einiges verbessern, sagt Melzer, die dazu einen Leitfaden für Krankenhausstationen entwickelt hat. Zum Beispiel durch verbindliche Pausen - derzeit alles andere als selbstverständlich, zeigten Branchenbefragungen: "Häufig werden Pausen nicht geplant, sondern den Pflegenden selbst überlassen." Dadurch verschieben und verkürzen sie sich oft oder fallen aus - obwohl es wissenschaftlich unstrittig ist, dass Pausen vor Fehlern schützen und damit zur Sicherheit von Patienten beitragen.
"Pausenkultur" fehlt
"Fünf Minuten Pause jede Stunde zum Händewaschen und zum Kollegengespräch verbessern Informationsfluss und Hygiene", sagt Melzer. Dafür brauche es eine "Pausenkultur" - die der Branche jedoch fehle. Wirkungsvoll sei auch ein Pausenplan für die gesetzlich vorgegebene Ruhepause: "Dann gibt es während der Pause eine Vertretung. Kollegen können diese gemeinsam machen, ohne im Hinterkopf zu haben, dass jemand unterversorgt ist."
Ver.di will nach der Krise dafür sorgen, dass die Relevanz der Berufe nicht in Vergessenheit gerät. Auch Arbeitsmedizinerin Melzer hofft, dass die erhöhte Aufmerksamkeit der Krise die Arbeitsbedingungen verändert.