Jahreslosung 2023 "Du bist ein Gott, der mich sieht" (1. Buch Mose 16,13)
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Die Jahreslosung für 2023 aus dem Alten Testament nach der Übersetzung Martin Luthers lädt zur Diskussion über die Rolle der Frauen in Kirche und Gesellschaft ein.
Bibelsprüche mit großer Breitenwirkung
Experten wählen seit 90 Jahren die kirchlichen Jahreslosungen aus
Jahreslosungen sollen zum Nachdenken anregen und Lust auf das Bibellesen machen. Die Bibelworte sollen auch aktuelle Bezüge herstellen: Die Jahreslosung für 2023 lädt zur Diskussion über die Rolle der Frauen in Kirche und Gesellschaft ein.
31.03.2020
epd
Alexander Lang

Sie ringen um das richtige Wort und finden dann zu einer klaren Entscheidung. Drei Tage lang brütet ein 23-köpfiges internationales Expertenteam über 33 Bibelsprüchen. Es wird gelesen, gemeinsam in Kleingruppen diskutiert, dann am Ende im Plenum abgestimmt. "Du bist ein Gott, der mich sieht" (1. Buch Mose 16,13) lautet die Jahreslosung für 2023. Darauf hat sich die Ökumenische Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen bei ihrem Jahrestreffen Ende Februar in Berlin verständigt. Der Bibelvers aus dem Alten Testament nach der Übersetzung Martin Luthers ist ein Leitwort für Christinnen und Christen. Das Bibelwort erscheint millionenfach auf Plakaten, Kalendern und Gemeindebriefen - sowie auf allerhand Nippes: Tassen, Armbändern, Kerzen, Kugelschreibern oder Frühstücksbrettchen.

Jahreslosung als Einladung an Kirchendistanzierte

Seit 1930 werden die Jahreslosungen einmal jährlich ausgewählt - und erstmals überhaupt stammt der Bibelspruch aus dem Mund einer Frau. Hagar, die Zweitfrau Abrahams, stehe "für all die nicht wertgeschätzten Frauen in Gesellschaft und Religion bis heute", sagt der Vorsitzende der ökumenischen Arbeitsgemeinschaft, Wolfgang Baur vom Katholischen Bibelwerk in Stuttgart.

Nicht nur über die Rolle von Frauen in Kirche und Gesellschaft nachzudenken, solle die Jahreslosung für 2023 anregen, ergänzt Pfarrer Michael Landgraf. Der Bibelbeauftragte der pfälzischen Landeskirche und Leiter des Bibelmuseums in Neustadt an der Weinstraße ist neu in dem Gremium, das die Jahreslosungen auswählt. Die biblische Erzählung habe auch eine interkulturelle Dimension, weil sie im Islam eine wichtige Rolle spiele, erläutert Landgraf. Bei der Pilgerfahrt nach Mekka besuchen Frauen symbolisch den Brunnen der alleinerziehenden Mutter Hager, die vor ihrer Herrin in die Wüste geflohen ist.

"Die Jahreslosungen haben eine große Breitenwirkung", sagt Landgraf. "Sie wollen zum Nachdenken anregen und Lust machen, einmal wieder in die Bibel zu schauen." Die meist kurzen Bibelverse, die mehrere Jahre im Voraus ausgewählt werden, sollen im Idealfall auch Bezüge zu aktuellen gesellschaftlichen Themen ermöglichen, sagt Landgraf. Auch kirchlich Distanzierte sollen zur Auseinandersetzung mit christlichen Inhalten eingeladen werden. Die Kirchen predigen über den Text der Jahreslosung üblicherweise in den Neujahrsgottesdiensten.

Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen kommen aus evangelischen, katholischen und freikirchlichen Werken und Verbänden aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, dem Elsass und Polen. Auf der Grundlage des aktuellen ökumenischen Bibelleseplans reichen die Gremienmitglieder vor dem Auswahlverfahren, an dem Berater und Jugenddelegierte beteiligt sind, ihre Vorschläge ein. Die Texte sollen möglichst eine klare Botschaft vermitteln und sprachlich für heutige Leser verständlich sein. Ergänzt werden sie durch zahlreiche Vorschläge für die zwölf Monatssprüche eines Jahres.

Nicht immer ungeteilte Zustimmung

Zu Beginn des diesjährigen Abstimmungsprozesses mussten die Bibelwort-Sucher  die stattliche Zahl von rund 400 Sprüchen in Augenschein nehmen, sagt Landgraf. "Kriterien für die Wahl der Jahreslosung sind theologische Gesichtspunkte, ob darin Klartext gesprochen wird und ob sie auch von jungen Menschen verstanden wird", erläutert er.

Nicht immer stoßen die Jahreslosungen auf ungeteilte Zustimmung. Mit dem biblischen Jahresbegleiter für dieses Jahr "Ich glaube; hilf meinem Unglauben" (Markus 9, 24) täten sich viele Menschen schwer, merkt Landgraf an. Gerade bei kirchendistanzierten Menschen könne das Reden über den Unglauben als unwillkommene Einmischung in ihr Leben oder gar als "Ketzerverfolgung" missverstanden werden. Jahreslosungen sollten zwar nicht "weichgespült" und deshalb irrelevant sein - sie dürften aber auch keine "Abgänge von der Kirche produzieren", betont der Theologe.