"Die Kirchenmusik ist ein Bringer", sagt Andreas Schneidewind, Leiter der Kirchenmusikalischen Fortbildungsstätte (KMF) in Schlüchtern. Zumindest kirchenintern hat er für seine These gute Argumente. So weist die aktuelle Statistik der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW), die Trägerin der Einrichtung ist, für 2018 fast 300.000 Teilnehmer an kirchenmusikalischen Veranstaltungen aus. Eine beeindruckende Zahl - nur Gottesdienste schneiden da noch besser ab. Aber auch da erklingt bekanntlich Kirchenmusik. Viele der Kirchenmusiker, insbesondere die Organisten, die sonntags landauf landab in die Tasten greifen, haben eine Aus- oder Fortbildung in der KMF durchlaufen, die am Sonntag ihr 50-jähriges Bestehen feiert.
Angesichts des enormen Zuspruchs, den die Kirchenmusik - und damit auch die KMF - erfährt, ist Schneidewind etwas traurig über die von der Kirchensynode der EKKW 2015 beschlossenen Kürzungen. Von einst 53 Kantorenstellen im Jahr 2010 sollen bis 2026 zum Abschluss des Prozesses noch 40 übrig sein.
Prälat Bernd Böttner, der auch Dezernent für Kirchenmusik ist, hatte bei der Vorstellung eines neuen kirchenmusikalischen Konzeptes auf der Herbstsynode 2019 eingeräumt, dass er die Kirchenmusik gerne mit mehr Hauptamtlichen fortgeführt hätte. Es gebe aber den von der Synode 2015 gefassten Beschluss, auch im Bereich der Kirchenmusik ein Viertel der Kosten bis 2026 einzusparen. "Wir können nicht so tun, als hätte die Arbeit mit weniger Menschen keine Auswirkungen", verwies Böttner auf die sinkende Zahl der Gemeindemitglieder und damit auch weniger finanzielle Mittel.
Es sei allerdings gerade die Kirchenmusik, die auch Kirchenferne erreicht, fährt Schneidewind fort. "In manchem Kirchenchor sind Leute dabei, die gar keine Kirchenmitglieder sind", sagt er. Den großen Zuspruch zu kirchlichen Konzerten erklärt sich Schneidewind mit der besonderen Atmosphäre, den der Sakralraum Kirche ausstrahle. Aber auch die Tatsache, dass da oft Leute aus der eigenen Gemeinde oder gar Familie mitwirkten, könne ein Grund sein, vermutet er. "Musik bringt die Menschen in eine andere Sphäre geistlicher Wahrnehmung", erklärt er.
Ausgebildete Musiker werden gebraucht
Mit zu dem großen Erfolg der Kirchenmusik trägt zweifelsohne die KMF bei. Die in einem liebevoll sanierten ehemaligen Benediktinerkloster untergebrachte Einrichtung mit gleich sieben Orgeln, einem Orgelpositiv sowie Klavieren, Flügeln und Cembalo und anderen Instrumenten steht nicht nur Musikern der beiden evangelischen Kirche in Hessen offen, sondern grundsätzlich allen, betont Schneidewind. An den zehn sogenannten C-Kursen für Orgelspiel nähmen pro Jahr im Schnitt 200 bis 250 Musiker teil. Viele kämen gern und regelmäßig wieder, da sie die gute und anregende Atmosphäre schätzen, weiß Schneidewind.
Trotz sinkender Mitgliederzahlen bräuchten die Gemeinden immer mehr ausgebildete Musiker, zeigt er eine neue Entwicklung auf. Reichte früher ein Organist, der regelmäßig die Orgel anwarf, so mögen sich heute viele der nebenamtlich tätigen Organisten nicht mehr jeden Sonntag hinter das Manual setzen. "Manche wollen nur einmal im Monat spielen", erklärt Schneidewind. Entsprechend mehr Musiker werden also benötigt, Aus- und Fortbildung inklusive.
Auch auf aktuelle Entwicklungen wie etwa die zunehmende Unkenntnis kirchlichen Liedgutes geht die KMF ein. Da viele Menschen Kirchenlieder ohne Orgelbegleitung nicht mehr anstimmen können, hat die KMF im vergangenen Jahr mit der Ausbildung von "Kirchensängern" begonnen. Hier werden Menschen mit Lust am Singen ausgebildet, in solchen Situationen Lieder anzustimmen. Das sei ein niedrigschwelliges Angebot, erklärt Schneidewind. Eine Abschlussprüfung gebe es nicht, lediglich ein Zertifikat. Das Interesse sei groß. Der Kurs für 2020 ist jedenfalls schon jetzt ohne größere Werbung ausgebucht.