Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum neuen thüringischen Ministerpräsidenten scharf kritisiert. "Ich bin entsetzt, dass sich der Landes- und Fraktionschef der FDP in Thüringen mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten hat wählen lassen", erklärte Zentralratspräsident Josef Schuster am Mittwoch in Berlin. Damit verlasse die FDP den Konsens der demokratischen Parteien, nicht mit der AfD zusammenzuarbeiten oder auf die Unterstützung der Rechtspopulisten zu zählen.
Die frühere Zentralratspräsidentin Charlotte Knobloch schrieb im Kurznachrichtendienst Twitter, die Wahl sei "ein Tabubruch ohne Beispiel in der jüngeren Geschichte unseres Landes". Auch wenn es keine klaren Mehrheitsverhältnisse im Landtag gegeben habe: Einen Regierungschef, der nur dank Stimmen "einer rechtsradikalen Partei ins Amt gelangen konnte, darf es in einer Demokratie nicht geben", schrieb die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern.
Der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner, sprach von einem Damm- und Tabubruch in Deutschland. "Dass es gerade dieser rechtsextremen Höcke-AfD so leicht gelungen ist, die demokratischen Parteien als konsensunfähig vorzuführen, ist ein politisches Desaster mit weitreichenden Folgen", erklärte Heubner in Berlin. Die oft gehörten Beschwörungen zur Abgrenzung von der AfD würden immer unglaubwürdiger. In der Auseinandersetzung mit Neonazis und Rechtsextremen in Europa sei dies für Überlebende des Holocaust ein fatales Signal aus Deutschland, sagte Heubner.
Kemmerich erhielt im dritten Wahlgang 45 Stimmen der 90 Abgeordneten. Er setze sich damit gegen den bisherigen Amtsinhaber Bodo Ramelow (Linke) durch, der 44 Stimmen auf sich vereinen konnte. Kemmerich wurde unmittelbar nach der Wahl vereidigt.
Der Liberale wurde offensichtlich mit der Unterstützung der AfD ins Amt gehoben. Deren eigener Kandidat, der parteilose ehrenamtliche Bürgermeister von Sundhausen, Christoph Kindervater, erhielt im dritten Wahlgang keine Stimme mehr.