Alltags-Plastikmüll als Arbeitsmaterial der Künstlerin.
© epd-bild/Hermann Pentermann
Die Künstlerin nutzte für die Performance Alltagsmüll, den sie in der direkten Umgebung der Lutherkirche fand.
Leere Müslitüten im Taufbecken
Künstlerin protestiert mit Performance in Osnabrücker Lutherkirche gegen Plastikmüll in der Natur
Swaantje Güntzel sucht bewusst die "Grenzüberschreitung": Die Künstlerin stattet die Osnabrücker Lutherkirche mit reichlich Alltagsmüll aus, um ein Zeichen gegen gedanken- und rücksichtlosen Umgang mit den Überresten des täglichen Konsums zu setzen.

Leere Müslitüten landen im Taufbecken. Folien und Schokoriegel-Verpackungen schweben von der Empore auf die Köpfe der Gottesdienstbesucher herab. Die Hamburger Künstlerin Swaantje Güntzel verschont am Sonntag kaum einen Flecken in der Osnabrücker Lutherkirche. Immer wieder greift die 47-Jährige in den Müllsack, verteilt den Inhalt mit ausholenden Gesten im Altarraum, im Mittelgang, in den Sitzreihen. Kronkorken, Deckel und Joghurtbecher fliegen scheppernd gegen die Kanzel. Güntzel blickt starr geradeaus. Ihre grellroten Lippen sind zu einem dünnen Strich aufeinandergepresst.

Der Knall der Pet-Flaschen, die auf dem Steinboden aufschlagen, hallt lange nach. Gebannt verfolgen die Besucher die Performance. Mancher runzelt die Stirn, vereinzeltes Kopfnicken, einige filmen mit ihren Handys. Die Zeit sei reif für solche "Grenzüberschreitungen", erklärt die Künstlerin nachher: "Es ist nicht in Ordnung, diesen Raum mit Müll zu beschmutzen."

Genausowenig sei es aber in Ordnung, die Natur mit den Hinterlassenschaften des Konsums zu zerstören, sagt Güntzel. Und genau darauf wolle sie mit ihrer Kunst aufmerksam machen. Sie frage sich, warum es den Menschen so schwer falle, die Natur, die ihnen so viel Wert sei, zu schützen. "Warum benehmen wir uns so enthemmt?" Schon als Kind habe sie gestört, "wie wenig Haltung die Menschen im Umgang mit der Natur haben", sagt die Künstlerin. Letztlich habe sie das sogar dazu bewogen, aus der Kirche auszutreten. "Ich habe mich von Gott verlassen gefühlt."  

Erstmals hat Güntzel sich dennoch für ihre Aktion eine Kirche ausgesucht. Seit zwölf Jahren arbeitet sie mit Performances, Installationen, Fotos und Skulpturen zum Thema Plastikmüll. In Hamburg, in Schweden oder Griechenland hat sie schon Müll verstreut, meistens an Stränden oder direkt im Meer. Oft hat sie damit Widerspruch und Empörung hervorgerufen. "Ich wurde beschimpft und sogar bedroht."

In der Lutherkirche erntet sie dagegen Zuspruch von den meisten der rund 150 Besucher. "Es sollte ja wohl wehtun. Das ist der Künstlerin gelungen", sagt Joachim Behrens (61) anerkennend. Johannes Tarras (22) bekennt, der Müll im Taufbecken habe ihn sehr nachdenklich gemacht. "Man muss manchmal anstößige Dinge tun, um etwas zu erreichen", fasst eine ältere Dame die Meinung vieler Umsitzender zusammen.

Die Hamburger Künstlerin Swaantje Güntzel verstreute auch Müll im Taufbecken.

Die Besucher der Lutherkirche sind es allerdings gewöhnt, mit schrägen, unkonventionellen Ideen und Aktionen konfrontiert zu werden. Seit fast 15 Jahren lädt die Südstadtkirchengemeinde am ersten Sonntag im Monat zum "Anderen Gottesdienst" ein. Das Format soll mit ungewöhnlichen Impulsen Menschen ansprechen, die traditionellen Gottesdiensten skeptisch gegenüberstehen. 

Die EKHN organisiert Führungen durch Betriebe und öffnet Türen in Verpackungs-Betrieben 2019.
 

Pastorin Ina von Häfen betont, für sie habe es einen tieferen Sinn, den Müll in einer Kirche zu verteilen und dabei weder das Taufbecken noch den Altarraum auszusparen: "Es gibt keinen heiligen Ort, der noch frei wäre von Müll. Dieser heilige Ort ist unsere Erde", sagt sie in ihrer Predigt. Sie selbst könne, seitdem sie den Müll gemeinsam mit ihrem Team in der Umgebung der Lutherkirche gesammelt und gereinigt habe, nicht so weitermachen wie zuvor.

Sie hoffe, dass auch andere Menschen aufwachten und mit kleinen Schritten versuchten, ihre Lebensweise zu ändern, betont von Häfen und ergänzt: "Gott, gib uns die Kraft, uns zu trennen vom Überfluss, vom schönen Schein und dem Gedanken, dass wir alles machen können, was wir wollen."