Bei seinem Amtsantritt als Bundespräsident freute sich Joachim Gauck 2012 uneingeschränkt über das deutsche "Demokratiewunder". Bei seinem Abschied aus dem höchsten Staatsamt fünf Jahre später warnte er dann vor Gefahren für genau diese Demokratie. Im vergangenen Jahr veröffentlichte der frühere evangelische Pfarrer ein Plädoyer für mehr Toleranz im demokratischen Meinungsspektrum. Und seine Vorlesungsreihe als Stiftungsprofessor in Mainz in diesem Sommersemester heißt "Demokratie in Frage". Joachim Gauck bleibt seinem Lebensthema treu.
Am 24. Januar wird der Altbundespräsident 80 Jahre alt. Seine Biografie ist bewegt, sein Lebensweg zum Zeitpunkt der Geburt keineswegs wahrscheinlich. Der spätere Bundespräsident eines wiedervereinten Deutschlands kommt 1940 in Rostock zur Welt. Seine Kindheit ist geprägt von der Abwesenheit des Vaters, der nach dem Zweiten Weltkrieg in einem sowjetischen Arbeitslager interniert ist. Die Ablehnung des Kommunismus wächst seit frühen Kindestagen.
Nach dem Abitur studiert er Theologie, wird Pastor in Mecklenburg. Ende der 80er Jahre zählt er zu den Pfarrern, die ihre Kirchen für die friedliche Revolution öffnen. Er ist Mitbegründer des Neuen Forums in Rostock und zieht nach dem Mauerfall als Abgeordneter von Bündnis 90 in die erste frei gewählte Volkskammer der DDR ein. 1991 wird er zum Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen berufen. Die Institution heißt im Volksmund schnell "Gauck-Behörde".
Im zweiten Anlauf gewählt
"Gauck bringt ein Leben mit", sagte der damalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel 2010 über ihn. Der frühere Pfarrer hat vier Kinder, zwölf Enkel und sechs Urenkel. Seit 2000 ist seine Lebensgefährtin Daniela Schadt.
2010 trat er ein erstes Mal als Kandidat von SPD und Grünen für das Bundespräsidentenamt an, verlor aber gegen Christian Wulff, den die schwarz-gelbe Koalition nominiert hatte. Bei seiner Wahl in der Bundesversammlung 2012 stand hinter Gauck dann ein breites Bündnis. Neben SPD und Grünen hatten sich nun auch FDP und Union für ihn ausgesprochen. Von den Parteien im Bundestag schickte nur die Linke eine eigene Kandidatin ins Rennen.
Teile der Linken hadern bis heute mit Gauck - wie er wegen ihrer Parteigeschichte im Osten mit Teilen von ihr. Das hält ihn derzeit dennoch nicht davon ab, sich bei den schwierigen Mehrheitsverhältnissen nach der Landtagswahl in Thüringen im vergangenen Jahr als Vermittler zwischen CDU und Linken zu versuchen.
Auch mit fast 80 Jahren zeigt er sich seinem Gegenüber hellwach, konzentriert, scharf in der Analyse. In die Miene des Norddeutschen mischt sich dabei manchmal ein verschmitztes Lächeln, manchmal werden Augen und Mundwinkel fest, wenn es um Ernstes geht.
Gauck beherrscht die Unparteilichkeit, die ein Bundespräsident mitbringen muss: Er betonte stets das Freiheitliche als Grundwert. Daneben steht er für den Sozialstaat genauso ein wie für einige konservative Werte. In eine Schublade aus dem politischen Farbenspektrum passt er nicht.
Hassfigur für extreme Rechte
Vor allem steht Gauck aber dafür, den Raum der demokratischen Mitte weit zu halten. "Eine repräsentative Demokratie soll eben möglichst viele Bürger repräsentieren", sagte er in seiner Rede zum Ende der Amtszeit als Staatsoberhaupt im Januar 2017. Oft betonte er, dass er sich selbst als Bürger versteht, als einer, der sich einbringen und einmischen und gestalten kann.
In seinem 2019 erschienenen Buch "Toleranz" fordert Gauck, stärker zu unterscheiden zwischen "rechtsextrem" und "rechts" im Sinne von "konservativ". Er verlangt, eine Grenze zu ziehen bei Angriffen auf die Verfassung, aber nicht jeden Ultrakonservativen zum Demokratiefeind zu erklären.
Gauck selbst wurde zur Hassfigur für extrem Rechte, als er im Flüchtlingssommer 2015 angesichts von Anschlägen auf Asylbewerberheime und Pöbeleien gegen Regierungspolitiker von "Dunkeldeutschland" sprach. Der gleiche Bundespräsident war es, dessen Rede nur einen Monat später als Plädoyer für eine Begrenzung der Zuwanderung verstanden wurde. "Unser Herz ist weit. Doch unsere Möglichkeiten, sie sind endlich", sagte er im September 2015.
Gauck fordert in seinem Buch eine Islamkritik und das Benennen von Integrationshemmnissen, die in der Religion begründet lägen. Zugleich war er 2016 als erster Bundespräsident offiziell Gast einer muslimischen Gemeinde beim Fastenbrechen zum Ende des Ramadan.
Nahezu jeder kann damit an Gauck eine Reibungsfläche finden. Selbst einstige Weggefährten aus der DDR-Bürgerrechtsbewegung fanden sie, weil sie sich vom früheren Pfarrer mehr Distanz zu militärischem Engagement erhofft hatten. Ihn stört das nicht: Austausch sei der Sauerstoff der offenen Gesellschaft, sagte er selbst einmal. Und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erkannte seine Kritikfähigkeit. Er sei "Manns genug", sich auch Kritik zu stellen, sagte sie 2012 über ihn.