Was wollen Sie den Audi-Mitarbeitern in Ingolstadt sagen, was ist Ihre Intention?
Peer-Detlev Schladebusch: Aktuelle Meldungen von Herstellern und Zulieferern sagen, dass es nicht so weitergeht wie bisher. Es wird radikale Umwälzungen geben, CO2-neutrale Antriebe werden gesucht, autonomes Fahren, neue Mobilitätskonzepte werden entwickelt, dann gibt es noch Zollbarrieren und Protektionismus, das sind viele Verwerfungen und große Unsicherheiten. In dieser Situation wollen wir "Christen in der Automobilindustrie" Mut machen für die Strecke, die vor uns liegt.
Fast alle deutschen Autokonzerne kündigen Stellenstreichungen an. Mit wie vielen Arbeitslosen muss gerechnet werden
Schladebusch: Es gibt verschiedene Berechnungen, wie viele Arbeitsplätze wegfallen und wie viele neu entstehen. Einige sagen, bis 2030 fallen vielleicht 125.000 Arbeitsplätze in der Automobilindustrie weg. Das ist natürlich ein großer Einschnitt. Es gibt auch noch ganz andere Berechnungen: Der Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA) hat prognostiziert, dass 360.000 Arbeitsplätze gefährdet sind. Nach Berechnung des "Center of Automotive Research" der Universität Duisburg/Essen wiederum werden bei den Autobauern insgesamt fast 234.000 Stellen in Produktion und Entwicklung von Technik für Verbrennungsmotoren überflüssig. Aber im Gegenzug gibt es wiederum neue Arbeitsplätze: Rund 109.000, das ist ein Drittel, sagt das Institut.
"Es gibt ein großes Potenzial, Dinge neu zu denken"
Die Stammbelegschaft in der deutschen Autoindustrie liegt laut VDA derzeit bei etwa 800.000 Arbeitnehmern. Wie kann man in dieser Situation Mut machen?
Schladebusch: Wie geht es weiter, müssen wir bei null anfangen? Werden uns andere überholen? Technologien werden neu entwickelt, Angst kann natürlich lähmen, aber auch schützen. Angst ist aber auch eine Chance. Sie signalisiert, dass man nicht so weitermachen kann wie bisher. Da lautet die Frage: Mit welchen Werten sind wir unterwegs und mobil? Das ist unser Ansatz im CAI-Netzwerk, da sind viele kluge und fleißige Leute dabei. Wir sagen, wir bekommen unseren Mut von unserem Knowhow. Aber wir können Dinge auch ganz neu denken, und sicherlich auch manches entspannter und bewusster bearbeiten, weil wir wissen, dass jemand auf unserer Seite ist, der es gut mit uns meint. Das gibt uns eine größere Gelassenheit und minimiert die Angst, die wir in der Branche jetzt auch gerade haben.
Die Kirchen sind auf der Suche nach neuen Formaten und machen jetzt auch Gottesdienste für einzelne Berufssparten. Wäre so etwas auch denkbar etwa für "Christen in der Waffenindustrie"?
Schladebusch: Die Frage, die dahinter steht, lautet: Was stellen wir überhaupt her? Nützt es oder ist es auch schädlich? Das kann ich nicht in wenigen Sätzen beantworten. Wir haben das Netzwerk gegründet, weil es eine große Branche in Deutschland ist, von der viele Arbeitsplätze direkt und indirekt abhängen. Es gibt hier ein großes Potenzial, im Umweltbereich Dinge neu zu denken, zu entwickeln, und damit auch eine große Hebelwirkung, die sich positiv auswirkt für die Menschen und die Umwelt. Ich finde es immer wieder spannend, wenn ich in einem Unternehmen bin, das in Bereichen wie Forschung und Entwicklung viele Menschen hat, die auch einen christlichen Hintergrund haben und die mit ihren Werten nicht nur Geld verdienen, sondern auch Gutes bewegen wollen. Viele Unternehmen haben das erkannt: Es gibt Aufsichtsräte, Vorstände, Betriebsräte, die sagen, wir brauchen Leute mit einem Wertegerüst, gerade für die Fragen und Herausforderungen, die uns massiv beschäftigen.
"Man kann nicht alles gleich auf null fahren - das ist auch eine soziale Verantwortung"
Kann man in einem Gottesdienst darum bitten, dass Menschen ihren Arbeitsplatz nicht verlieren mögen?
Schladebusch: Auf jeden Fall. Vom Theologischen her ist es so, dass es unsinnig wäre, wenn alle zum Beispiel nur einen geistlichen Beruf hätten, im sozialen Bereich arbeiteten oder im Krankenhaus. Wir brauchen die vielen verschiedenen Berufe, da gehört auch die Herstellung von Produkten dazu, und die Frage, wie sie den Menschen nutzen. Theologisch würde ich sagen: Jeder Mensch, der seinen Beruf auch als Berufung versteht, so wie Martin Luther das definiert hat, kann eben auch etwas Besonderes und Sinnvolles bewirken.
Was würden Sie sich wünschen von einem Mitarbeiter der Automobilindustrie, wie sollte der sich jetzt in dieser Krise verhalten?
Schladebusch: Vieles steht im Moment auf dem Prüfstand. Wir sind gefordert, in Besonnenheit und ohne Panik alles kritisch zu hinterfragen. Was wird der künftige ökologisch sinnvollste Antrieb sein, in welche Richtung sollen wir forschen und entwickeln? Da muss man die ganze Produktionskette, von der Rohstoffförderung bis hin zur Entsorgung, neu durchdenken. Wie belasten wir unsere Umwelt, wie können wir das so minimieren, dass es nicht schädlich ist oder nur gering, und dass es trotzdem einen gewissen Nutzen liefert?
Die Automobilindustrie ist doch eine global vernetzte Sparte, wie soll das gehen?
Schladebusch: Wir müssen gerade im Bereich Automotive weiträumig denken, es existiert ja eine globale Konkurrenz. Es nützt sicherlich nichts, wenn man ein Produkt hat, das superökologisch ist, das aber keiner bezahlen kann und das sich nicht verkauft. Es müssen gewisse Kompromisse gemacht werden. Es braucht bestimmte Brückentechnologien, um dorthin zu kommen. Man kann nicht gleich alles auf null fahren und eine andere Sache hochfahren, wenn man nicht will, dass Unternehmen Pleite gehen und die Leute auf der Straße stehen. Das ist auch eine soziale Verantwortung.
"Die Offenheit für wertorientiertes Führen ist gestiegen"
Nun sind Sie als Pastor mit besonderem Auftrag der Landeskirche Hannovers auch christlicher Berater in Führungsetagen der deutschen Automobilindustrie. Wie sehen die Führungskräfte diese Fragen?
Schladebusch: Wichtig ist es, ins Gespräch zu kommen und voneinander zu lernen. Nicht zu sagen: Hier geht es lang. Das hat etwas mit Wertschätzung, aber auch mit Lernbereitschaft und Ergebnisorientierung zu tun. Die große Chance ist, dass wir uns zusammentun und ergänzen können. Mit CAI haben wir da ein großes Netzwerk über die einzelnen Hersteller und Zulieferer hinaus.
In der deutschen Automobilindustrie ist in den vergangenen Jahren einiges schiefgelaufen. Sehen Sie in den Führungsetagen einen moralischen Wandel?
Schladebusch: Es gab hier schon immer Leute, denen werteorientiertes Handeln wichtig war, die sich vielleicht nur teilweise durchsetzen konnten und in der Minderheit waren. Und es gibt jetzt vermehrt auch Menschen, die aus der Krisensituation heraus verstanden haben, es geht nicht weiter wie bisher, wir brauchen neue Lösungsansätze. Die Offenheit für werteorientiertes Führen ist in vielen Unternehmen spürbar gestiegen.