Betreff: "Kirchensteuer - ihr Zuzug nach Bayern." "Sehr geehrter Herr Schramm. Herzlich willkommen in der Evangelisch-Lutherischen Kirche!" Immerhin - so fängt das Schreiben an den 28-jährigen Jonas Schramm an. Dann ein paar wenige warme Worte. Es folgen ausführliche Informationen zur Kirchensteuer und die Bitte, diese zu überweisen. Eine herzliche Begrüßung sieht anders aus, findet Schramm. Der Journalist ist genervt: "Und die Kirche wundert sich, wenn die Mitglieder wegrennen. Peinlich.", twittert er unter den Screenshot des Schreibens.
Dabei sind neue Kirchenmitglieder essenziell, wie der Blick auf die sogenannte Freiburger Studie zeigt, die im vergangenen Mai vorgestellt wurde. Die Untersuchung prognostiziert eine Halbierung der Mitgliederzahlen bis 2060. Besonders häufig treten junge Menschen zwischen 20 und 35 Jahren aus. Oftmals wenn sie ihre erste Arbeitsstelle antreten. Die Kirchensteuer schreckt viele ab.
Schreiben als "Standardprogramm"
Der Umgang mit Neu-Mitgliedern treibt auch Kirchenleitende um. Für eine abgestufte Mitgliedschaft plädiert zum Beispiel der Berliner Bischof Christian Stäblein. So sollte es auch Fördermitgliedschaften oder ruhende Mitgliedschaften geben. Man könnte vereinbaren, dass jemand einige Jahre keine Kirchensteuer zahlt, aber dennoch Mitglied bleibt. Ähnlich hatte sich der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung geäußert. Er denkt über Steuererleichterungen für junge Mitglieder nach. Solche Modelle seien jedoch nur auf Ebene der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), dem Zusammenschluss der 20 Landeskirchen, zu realisieren, betont Jung.
Ein kurzes Schreiben gehört bei den meisten Gemeinden zum Standardprogramm. Oft wird auch ein Begrüßungsabend angeboten, bei dem die Neulinge vorgestellt werden - wenn sie das möchten. In einigen Gemeinden kommt außerdem der Besuchsdienstkreis zu neuen Mitgliedern nach Hause. Die Ehrenamtlichen führen Gespräche, informieren über Angebote und laden zu Gottesdiensten und Veranstaltungen ein.
Kontakt auch nach dem Umzug
In der Solinger Luther-Kirchengemeinde erwartet neue Gläubige ein Willkommenspaket. Darin kleine Geschenke wie Tee und Popcorn sowie eine Einladung auf den Kirchturm der Lutherkirche. Eine schöne Idee, findet Gerhard Wegner, ehemaliger Leiter des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Hannover. Er könne sich auch Freikarten für Konzerte vorstellen. All das könne aber nur ein Anfang sein, betont er. Der Sozialwissenschaftler kritisiert die "Trägheit der Kirche". Durch die Kirchensteuer sei sie nicht gezwungen, sich zu verändern, meint Wegner. Die Kirche müsse einen "Quantensprung" in Sachen Kommunikation machen.
Vor allem die jeweiligen Heimatgemeinden müssten mit jungen Menschen nach einem Wegzug die Verbindung aufrecht erhalten, sagt der Theologe. Etwa mit einem Newsletter, Geburtstags- und Weihnachtsgrüßen. Dabei müssten sie selbstverständlich neue Medien wie E-Mail und die sozialen Netzwerke nutzen. "Jede Firma kann das", kritisiert Wegner das fehlende Engagement vieler Kirchengemeinden.
Ideen gibt es - zumindest theoretisch. Der 31-jährige Pfarrer Steve Kennedy Henkel an der Erlöserkirche München schlägt eine Art Stammtisch für Zugezogene vor. Das Problem: Er hat neben Gottesdienst, Seelsorgegesprächen und Büroarbeit kaum Zeit für solche innovativen Projekte, erzählt er. Denn dahinter stecke eine Menge Organisation: Schließlich müsse auch schon die Einladung zu einer solchen Veranstaltung cool aussehen, erklärt der junge Theologe.
Auch sein Kollege Jörg Niesner aus der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) macht sich Gedanken, wie er gerade mit Jugendlichen in Kontakt kommt. Zum Start seiner Pfarrstelle in der Kirchengemeinde Laubach nahe Gießen im Januar 2020, hatte der digitalbegeisterte Theologe zu einem "Instawalk" eingeladen.
Bei dem Spaziergang durch die Stadt machten die Teilnehmer Fotos und posteten sie auf Instagram. Der Tag war ein Erfolg, wie Niesner sagt. Mehr als 30 Menschen zwischen 17 und 40 Jahren hatten sich angemeldet, gerechnet hatte der ausgebildete Notfallseelsorger mit höchstens zwölf. Mit der Gruppe möchte der Pfarrer künftig in Kontakt bleiben, um mögliche neue Formate zu entwickeln.