Ein Blick in ihre Oktober-Termine zeigt ein Stakkato der Themen, für die das Herz der Regionalbischöfin immer schlug: Im vorletzten Monat ihrer Amtszeit verlieh sie den Kunstpreis der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, sie predigte den Gefangenen in der JVA Stadelheim und den Studenten in Freising, sie traf bayerische Abgeordnete in Berlin, sie gedachte des NS-Verfolgten Friedrich von Praun und stärkte der Münchner jüdischen Gemeinde nach dem Anschlag von Halle den Rücken. Und statt Abschiedsgeschenken wünscht sich Susanne Breit-Keßler Spenden für ihre Evangelische Stiftung Hospiz und für die Arbeit des Frauenhauses Karla 51.
Die Omnipräsenz in vielen Bereichen der Gesellschaft hatte ihren Preis: "Man ist als Person sehr sichtbar, daran musste ich mich erst gewöhnen", sagte die Regionalbischöfin im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Egal, ob im Restaurant oder beim Einkaufen: Susanne Breit-Keßler ist eine evangelische Marke, die in München überall erkannt wird.
Von Beginn ihrer Amtszeit an hat sich die Theologin mit Selbst- und auch Machtbewusstsein vernetzt, Kontakte zu Politikern, Kulturschaffenden, Stiftungen und Medien geknüpft und wenig Einladungen abgelehnt. Dass Kirche sich "mit Substanz" in der Öffentlichkeit zeigt, war Breit-Keßler, die seit 1984 journalistisch tätig war und von 1994 bis 2001 die Presseabteilung der Landeskirche modernisiert und ausgebaut hat, stets ein Anliegen.
Arbeiterkind mit ungewöhnlicher Biografie
Dass aus ihr einmal die Ständige Vertreterin eines Landesbischofs werden sollte, wurde ihr nicht in die Wiege gelegt. 1954 im württembergischen Heidenheim als uneheliches Kind geboren, machte sie mit Kirche eher schlechte Erfahrungen. Die erste Frau des Vaters wollte ihm bei seiner Flucht von Jena nach Westdeutschland nicht folgen, der Scheidungsprozess war mühsam und langwierig. Lange konnten Breit-Keßlers Eltern Erich und Hella deshalb nicht heiraten. "Und der Pfarrer hatte meine Taufe abgelehnt, weil ich ein Kind der Sünde war, wie er meinte bemerken zu müssen", erinnert sich die 65-Jährige.
Als die Familie längst im oberbayerischen Oberaudorf lebte, wurde der schließlich möglich gewordenen Trauung der Eltern von Seiten der Landeskirche Steine in den Weg gelegt. "Ich habe Kirche in meiner Kindheit nicht als sehr einladend erlebt", fasst die Theologin zusammen. Dennoch studierte sie später - mithilfe von Bafög und Nebenjobs - Theologie, weil sie die Vorlesungen als "Fest für den Geist" erlebt hatte.
Und umso erstaunter sei sie gewesen, als sie im Jahr 2000 vom Berufungsausschuss um die Kandidatur für den Posten der Regionalbischöfin gebeten wurde. "Es war schön, als Arbeiterkind mit einer ungewöhnlichen Biografie gefragt zu werden", erinnert sie sich. Die Wahl Breit-Keßlers war ein Novum in der bayerischen Landeskirche: Als erste Frau rückte die damals 47-Jährige im März 2001 in die Riege der Regionalbischöfe auf - und prägte mit tailliertem Lutherrock zu schmalen Hosen gleich den Stil für alle nachfolgenden Kolleginnen.
Die Theologin übernahm traditionsreiche Formate wie den Kampenwandgottesdienst und erfand neue, wie den Jahresempfang in der Allerheiligenhofkirche, zu dem sie vor allem Ehrenamtliche einlud. Sie ordinierte 186 junge Pfarrerinnen und Pfarrer und weihte Unterhaltungs- und Konsumtempel wie die Allianzarena und das Hotel Charles ein. Bei Tragödien wie dem Zugunglück von Bad Aibling und dem Attentat vom OEZ traf sie den richtigen Ton für Betroffene und Öffentlichkeit.
Eine schmerzliche Wegmarke war die verlorene Wahl zum Landesbischof im Jahr 2011, in deren Vorfeld Breit-Keßler als Favoritin gegolten hatte. Doch angesichts der schweren Krebserkrankung, die sie als knapp 30-Jährige überstand, sei "alles was danach an Niederlagen kam, nichts" gewesen.
Viel zu tun im Ruhestand
Wort zum Sonntag, Bioethik-Kommission, Akademie für Naturschutz, EKD-Kammer für Öffentliche Verantwortung - es ist wenig aussichtsreich, alle Funktionen auflisten zu wollen, in denen Susanne Breit-Keßler mitgewirkt hat. Manches davon nimmt sie mit in den Ruhestand. Als Botschafterin des Textilsiegels "Grüner Knopf" will die Theologin für den Bundesentwicklungsminister aktiv bleiben. Neu hinzugekommen ist der Posten der stellvertretenden Vorsitzenden der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung. Auch publizistisch bleibt die Theologin präsent: mit ihrer Kolumne im Münchner Merkur, ihrem Blog "Mahlzeit" auf chrismon.evangelisch.de und dem nächsten Buch "Prost Mahlzeit".
Klingt alles nicht nach Ruhestand? Susanne Breit-Keßler lächelt. Mehr Zeit, um Freunde zu bekochen, darauf freue sie sich. "Und dann wird es endlich mal ein Weihnachtsfest geben, bei dem ich nicht am Abend vorher einen Christbaum besorge und noch schnell die Kartons mit Weihnachtsschmuck in die Wohnung schleppe", sagt sie.