Wenn Hans-Joachim Wild derzeit Besuchern die Räume seiner Tafel zeigt, dann ist er auf eine unscheinbare Ecke ganz besonders stolz: Sie liegt rechts hinter der Gemüse-Theke, und in ihr stapeln sich einfache Lebensmittel wie Nudeln, Zucker und Mehl. Was daran so besonders ist? Dass sie überhaupt da sind. "Dieses Regal ist normalerweise ganz schnell leer", sagt Wild, der die Tafel im schleswig-holsteinischen Bad Segeberg leitet. Grund dafür sei, dass diese Waren bislang selten gespendet würden. "Normalerweise können wir lange haltbare Lebensmittel nicht ohne Rationierung ausgeben."
Dass das jetzt anders ist, liegt an einer Sammelbox, die derzeit testweise in einem Edeka-Markt in der Stadt aufgestellt ist. Kunden haben dort die Möglichkeit, Lebensmittel, die sie zuvor gekauft haben, direkt als Spende abzugeben. Zweimal in der Woche kommt ein Mitarbeiter der Tafel und holt die Box ab. Und wenn das Pilotprojekt weiterhin so gut anläuft, wird es bald schon auf weitere Tafeln in Hamburg und Schleswig-Holstein ausgedehnt, wie Bernd Jorkisch sagt. Er ist Leiter der Tafelstiftung Schleswig-Holstein und Hamburg und sagt: "Wir sind bereit, den Tafeln das nötige Equipment als Spende zur Verfügung zu stellen, wenn das gewünscht ist."
Dass die Tafel in Bad Segeberg einen chronischen Mangel an lange haltbaren Waren hat, ist kein Zufall. Denn überall bei den Lebensmittelausgaben kann nur das verteilt werden, wofür andere keine Verwendung mehr haben - häufig Lebensmittel, deren Mindesthaltbarkeits- oder Verbrauchsdatum kurz vor dem Ablauf sei, und die Supermärkte oder Gastrobetriebe nicht mehr verwerten könnten, sagt Hans-Joachim Wild. Gingen diese nicht an die Tafel, würden sie auf dem Müll landen. "Und es kostet uns viel Zeit und Aufwand, die Lebensmittel zu sortieren. Denn wir bieten nur erstklassige Ware an."
"Geschäftemacherei mit der Not"
Dieser Aufwand entfalle bei den Lebensmitteln aus der Sammelbox. Und: die Tafel kann auch ein viel breiteres Angebot machen. So seien in den ersten drei Wochen beispielsweise 132 Packungen Nudeln zusammengekommen und 46 Kilogramm Reis.
Der Kölner Armutsforscher Christoph Butterwegge betont, dass es wichtig sei, dass Menschen genug Lebensmittel haben: "Aber das Medium, in dem Menschen in unserer hoch entwickelten Gesellschaft karitative Hilfe benötigen, ist eigentlich Geld. Das Grundgesetz sieht keine Almosen-Empfänger vor, sondern kennt nur Sozialstaatsbürger mit Rechtsansprüchen." Butterwegge kritisierte zudem, dass das Handeln eines Supermarktes in einem solchen Spendensystem nicht selbstlos sei. Dieser bekomme die von seinen Kunden gespendeten Lebensmittel schließlich bezahlt. "Ich bin sicher, Supermarkt und Tafel handeln hier in gutem Glauben. Trotzdem ist dies Geschäftemacherei mit der Not der Menschen", sagt der Wissenschaftler. Und fügt hinzu: Es sei nicht die Aufgabe von Supermarktkunden dazu beizutragen, dass arme Menschen etwas zu essen bekommen. "Das ist eine Verschiebung der Verantwortlichkeiten", sagt Butterwegge.
Dieses Argument nennen Kritiker der Tafeln häufig: Selbst wenn Menschen in Armut durch die Lebensmittelspenden erst einmal geholfen werde - langfristig trage ihre Existenz dazu bei, ein System zu etablieren, in dem sich der Staat aus der Verantwortung nehmen kann. Und das werde hier verstärkt, urteilt Butterwegge. "Es kommt heute schon vor, dass Jobcenter-Mitarbeiter Menschen empfehlen: 'Gehen Sie doch zur Tafel.' Das wird umso mehr passieren, je mehr in Supermärkten in den Korb gepackt wird."
Auch Tafel-Leiter Hans-Joachim Wild hat den Eindruck, dass es über die Jahre mehr Menschen geworden sind, die sich in Bad Segeberg bei ihm und seinen Mitarbeitern Lebensmittel beschaffen. Verstärkt junge Menschen, die nicht über die Runden kommen - "aber auch Ältere, die sich das nie hätten träumen lassen". Gerade deswegen sei es wichtig, das Angebot ausbauen zu können.