Pygmäen im Regenwald
© epd-bild/Zeitenspiegel /C. Püschner
Pygmäen im Regenwald: der Einzug der Holzindustrie hat ihre naturnahe Religion erschüttert, ohne dass ein Missionar tätig geworden wäre.
"Mission zerstört keine Kulturen"
Freiburger Ethnologe nimmt Missionare in Schutz
Christliche Mission ist in den vergangenen Jahrzehnten in Misskredit geraten. Sie zeige keinen Respekt vor gewachsenen Kulturen und zerstöre sie, so der Vorwurf. Der emeritierte Freiburger Ethnologie-Professor Lothar Käser hält diese Kritik für unberechtigt. Mission habe vielen Regionen einen Entwicklungsschub und humanere Lebensverhältnisse gebracht, sagte Käser dem Evangelischen Pressedienst. Dabei beruft er sich unter anderem auf den Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela.
04.10.2019
epd
Marcus Mockler

Herr Prof. Käser, zerstören christliche Missionare andere Kulturen?

Lothar Käser: Für die zurückliegenden 100 bis 200 Jahre kann ich das nicht bestätigen. Mission kann eine Kultur verändern, aber zerstört sie nicht. Teilweise bewahrt sie die Kultur sogar gegen ein feindliches Umfeld.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Käser: Die christliche wissenschaftliche Organisation SIL, als angebliche Zerstörerin der Kulturen Amazoniens vielgeschmäht, hat im Auftrag der peruanischen Regierung die Sprachen der indigenen Ethnien im Amazonasgebiet verschriftlicht und sie damit befähigt, ihre Forderungen an die Landesregierung nach einem eigenen Territorium juristisch wirkungsvoll vertreten zu können. Niemand unter den Indigenen empfindet das als Zerstörung seiner Kultur.

Könnte das nicht auch die Entwicklungshilfe leisten?

Käser: Missionare haben immer schon so etwas wie Entwicklungshilfe geleistet - als Arzt, Lehrer, Techniker, Handwerker und Landwirt. Es macht keinen Sinn, Entwicklungshilfe und Mission gegeneinander auszuspielen.

Der Unterschied ist, dass der Missionar eine fremde Religion, eine andere Weltanschauung mitbringt?

Käser: Doch das tut der Entwicklungshelfer auch! Sagt ein europäischer Lehrer auf einer Südseeinsel im Astronomie-Unterricht, Sonne und Mond seien keine Götter, sondern Himmelskörper aus Materie, gilt das als Entwicklungs- und Bildungshilfe. Sagt ein Missionar auf der Kanzel in der Kirche zwanzig Meter neben der Schule das gleiche, gilt es als Zerstörung der betreffenden Religion. Eine groteskere Art der Argumentation kann ich mir kaum denken.

Das heißt: Sie haben kein Problem damit, wenn christliche Mission eine Kultur verändert?

Käser: Es kommt auf den Bereich an. Es gab in manchen Kulturen bis vor kurzem noch grausame Rituale wie Kopfjagd, Anthropophagie ("Menschenfresserei") und Witwenverbrennung. Solche inhumanen Praktiken hören in der Regel sofort auf, wenn Menschen Christen werden. Das halte nicht nur ich für einen Fortschritt, sondern die Menschen in diesen Kulturen auch.

In der ethnologischen Literatur wird das teilweise anders gesehen. Dort argumentieren viele, dass alle Elemente etwa der Indianerkulturen, auch die grausamsten, irgendwie sinnvoll sein mussten, weil sie seit Jahrtausenden existierten.

Käser: Eine absurde Argumentation. Das wäre so, als ob man Gewalt gegen Frauen und den sexuellen Missbrauch von Kindern in unseren europäisch-abendländischen Gesellschaften für erhaltenswert hielte, weil es sie schon immer gab. Aus meiner Sicht ist das eine menschenfeindliche Position.

Dennoch die Frage: Ginge es vielen Kulturen nicht besser, wenn sie nie einem Missionar begegnet wären?

Käser: Die Frage impliziert, dass nur Missionare Einfluss auf die Kultur haben. Doch indigene Gruppen können heute nicht mehr abgeschottet leben - und wollen es auch nicht. Im Regenwald der Zentralafrikanischen Republik habe ich die Bayaka-Pygmäen kennengelernt. Sie sind Jäger und Sammlerinnen.

Kinder vom Volk der Bayaka-Pygmäen und der Dzanga-Sangha in Bayanga im südlichsten Zipfel der Zentralafrikanischen Republik. Sie bauen Obst, Gemüse und Getreide an, leben von der Jagd, vom Verkauf von Tropenholz und zunehmend vom Tourismus

Ihre Religion kennt eine ganze Reihe aufwendiger Rituale, mit deren Hilfe sie glauben, Tiere in größerer Zahl zu erlegen. Nun gibt es Firmen der Holzindustrie, die im Lebensraum der Bayaka Sägewerke errichten. Für die Männer ist das eine willkommene Möglichkeit, Geld zu verdienen. Bei der Arbeit im Sägewerk haben Jagdrituale jeden Sinn verloren und werden daher sehr schnell aufgegeben. Das heißt, dass eine Religion in ihren Grundfesten einfach durch eine technische Neuerung wie ein Sägewerk erschüttert werden kann, ohne dass irgendein Missionar tätig geworden wäre.

Wird christliche Mission in den Missionsländern eigentlich auch so negativ gesehen wie in der westlichen Welt?

Käser: Vielerorts nicht. Ich habe auf meinen Studienreisen viele Menschen getroffen, die durch die Arbeit der Missionen Christen geworden waren. Von ihnen äußerte keiner auch nur das geringste Interesse daran, in den vorherigen Zustand zurückkehren zu wollen. Und mir klingen immer noch die Worte im Ohr, die der Anti-Apartheid-Kämpfer und Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela 1998 gesagt hat: "Ich werde nie genug Worte haben, um Missionaren für das zu danken, was sie getan haben. Ohne Missionare wäre ich heute nicht das, was ich bin."