Kirchlichen Museen in der Kritik wegen Kolonialkunst
© epd-bild/Uwe Moeller
Akazienstamm mit Rinderhörnern für das Grabmal eines Hereo-Führers im Museum der Vereinigten Evangelischen Mission (VEM) in Wuppertal.
Missionsmuseen in der Kritik
Über den Umgang mit kolonialem Kulturgut in Museen wird heftig gestritten. Auch die Missionsammlungen bleiben nicht außen vor. In Wuppertal, Halle und Herrnhut denkt man über 'sensible Objekte' nach und sucht den Dialog mit der "heritage community".
12.08.2019
epd
Renate Kortheuer-Schüring

Auf dem "Heiligen Berg" in Wuppertal lagern sie derzeit gut in weiße Folien verpackt im Depot: Fast 5.000 Objekte aus den ehemaligen Missionsgebieten, Speere, Messer und Trommeln, tönerne Töpfe, Figuren, Ahnenstäbe. Das Depot zieht um - innerhalb des Komplexes der Vereinigten Evangelischen Mission (VEM). "Sensible Objekte sind sicher darunter", sagt Museumskurator Christoph Schwab zur Sammlung. Bei vielen Stücken sei aber gar nicht bekannt, wann und wie genau sie hierher kamen.

Die Debatte über den Umgang mit Kulturgütern aus ehemaligen Kolonien in Afrika und Asien hat auch die Missionssammlungen erreicht. Rund 80 solcher kirchlichen Museen gibt es in Deutschland, die meisten klein, etwa in Ordenshäusern. Aber auch Häuser mit umfangreichem Bestand sind darunter - wie die Sammlung der Herrnhuter, heute Teil der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Mit vergleichsweise geringen Mitteln ausgestattet, führen die meisten von ihnen ein Schattendasein. Jetzt aber kommen Anfragen. Der Deutsche Kulturrat fordert, die kirchlichen Museen in der aktuellen Debatte einzubeziehen. Und der senegalesische Ökonom Felwine Sarr verlangte kürzlich, die missionsgeschichtlichen Sammlungen müssten die Aufarbeitung in Angriff nehmen. Sarr und die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy hatten Ende 2018 in einem Gutachten für den französischen Präsidenten Emmanuel Macron die Rückgabe des kolonialen Erbes gefordert. Das löste auch in Deutschland eine Kontroverse aus.

Inventarlisten gingen verloren

"Wir arbeiten die Geschichte sehr wohl auf - seit langem", betont Schwab und verweist auf den "Studienprozess" der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zum Thema Kolonisation, bei dem zwischen 2007 und 2011 bereits viel erarbeitet worden sei. Zudem gebe es vermehrt Forschungsprojekte. "Provenienzforschung ist allerdings auch eine Kapazitätenfrage", sagt er. Im VEM-Museum Auf der Hardt, das rund 300 Objekte in seiner Dauerausstellung zeigt, ist die Provenienz nur in Einzelfällen nachzuvollziehen. Inventarlisten gingen teils in zwei Weltkriegen verloren. Vorhandene Briefe der Missionare enthalten nur gelegentlich eine Randnotiz zu Gegenständen, die sie nach Hause schickten.

Eine Schlitztrommel aus Neuguinea im Museum der Vereinigten Evangelischen Mission (VEM) in Wuppertal.

Auch die Digitalisierung der Bestände - heute oft gefordert, um Herkunftsgesellschaften Zugang zu den Objekten zu gewährleisten - sei "nicht zu stemmen", sagt Schwab.  Allerdings bestünden seit langem Beziehungen zur Namibian Museum Association (NMA). Sie hat Listen mit Objekten bekommen. Restitutionsforderungen seien daraus nicht erstanden, sagt Schwab. Von einigen christlichen "Trophäen", also den Missionaren übergebenen heidnischen Kultobjekten abgesehen, sei das meiste im Depot wohl "Touristenware", die in Missionswerkstätten gefertigt wurde. Aufgrund der partnerschaftlichen Organisation der VEM sind die Kirchen der ehemaligen Missionsgebiete und Kolonien, auch die lutherische Kirche Namibias, heute zudem Miteigentümer der Objekte.

Vermittlung von Missionsgeschichte

Im Falle der Ahnenstäbe - deren Provenienz ausnahmsweise gut belegt ist - sind die Besitzverhältnisse allerdings nicht unumstritten. Der Herero-Häuptling Kukuri hatte sie bei seiner Taufe um 1901 einem Missionar übergeben, was dieser in einem Brief schilderte: ein Akt der Lossagung vom Ahnenkult. Als die hölzernen Stäbe 2018 in Dresden ausgestellt wurde, kritisierte der namibische Historiker Dag Henrichsen, dass diese "heiligen Objekte" der Herero in Deutschland in Vitrinen gezeigt würden, sei eigentlich undenkbar. Sie könnten hier nicht bleiben. Fragen wirft zudem ein Grabmalfragment aus Namibia auf, das wohl erst nach dem Herero-Aufstand 1904/5 nach Wuppertal kam. Hier war auch mit Hilfe von Experten, die die lokale mündliche Überlieferung kennen, bislang nichts herauszubekommen - vor allem nicht, wem zu Ehren der mit Büffel-Hörnern geschmückte Stamm errichtet wurde.

Bei den Franckeschen Stiftungen in Halle weiß man dagegen über die Provenienzen relativ gut Bescheid: Die im 17. und 18. Jahrhundert entstandene "Kunst- und Naturalienkammer", die einzige komplett erhaltene barocke "Wunderkammer" Europas, zeigt Vogelnester und Tierpräparate ebenso wie Artefakte, etwa aus Indien. Die 30 tamilischen Objekte wurden Kustos Claus Veltmann zufolge Missionaren geschenkt oder von ihnen erworben. Die Initiative "Halle Postkolonial" wirft dem Museum vor, die ausbeuterische Kolonialgeschichte auszublenden. Veltmann hält Kritikern entgegen, dass die frühen Missionare mit den Kolonialmächten, die Kulturgüter bei Strafexpeditionen raubten, nichts zu tun hatten. Sein Haus setzt auf Kooperation mit den ehemals missionierten Völkern und arbeitet mit der Tamilischen Evangelischen Kirche eng zusammen.

Die früheren protestantischen Missionsmuseen haben offenbar ihre Rolle in der Vermittlung von Missionsgeschichte und im interkulturellen Dialog gefunden. Im Gegensatz zu Häusern mit kolonialgeschichtlichen Sammlungen hätten sie den lebendigen Austausch mit den "heritage communities", den Herkunftsgesellschaften, nie abreißen lassen, sagt die Historikerin Ulrike Gilhaus, Leiterin des LWL-Museumsamts für Westfalen. In dem neuen partnerschaftlichen Verhältnis liege eine Chance - etwa für Forschungsprojekte und gemeinsames Kuratieren.

Vorbei geht diese Chance nach Einschätzung von Gilhaus allerdings an den katholischen Sammlungen. Sie sind größtenteils in der Hand von Orden, die immer weiter schrumpfen und die Museen nicht mehr unterhalten können. So musste das bedeutende "Forum der Völker in Werl" kürzlich schließen, weil die Franziskaner den Standort aufgeben. Kleinere und kleinste Ordenssammlungen lösten Begehrlichkeiten bei Händlern aus, besonders in den Niederlanden gebe es für ethnologische Objekte einen großen Markt, sagt die Museumsexpertin. Die erodierenden Orden hätten "ganz andere Probleme". Die Debatte um Rückgabe oder Neupräsentation des kolonialen Erbes kommt hier an ihre Grenzen.