Ihre Vorgängerin, Oberkirchenrätin Barbara Bauer, hat zum Abschied gesagt: "Jetzt macht bitte keine Party und schmeißt mit dem Geld um euch, nur weil die Finanzchefin weg ist." Eine berechtigte Sorge?
Martin Wollinsky: Spaß und Freude an dem, was wir tun, haben wir schon. Aber ich kann meine Vorgängerin beruhigen. Auch ich werde sehr sorgsam mit dem Geld umgehen.
Sie waren als Wirtschaftsprüfer bei einem großen Unternehmen tätig. Was hat Sie bewegt, zur badischen Landeskirche als Finanzreferent zu wechseln?
Wollinsky: Ich bin von Haus aus Jurist und habe danach mein Examen als Wirtschaftsprüfer gemacht. Zuletzt war ich in einem sehr speziellen Bereich, dem Bankaufsichtsrecht, tätig. Das ist ein sehr komplexes und spannendes Gebiet, aber letzten Endes auch sehr begrenzt. Da war es an der Zeit, etwas Neues zu beginnen. Hinzu kam, dass meine Familie in Karlsruhe wohnt und ich außerdem zu wenig Zeit für die Arbeit in der Kirchengemeinde hatte. Dass es am Ende auf ein hauptamtliches Engagement bei der Kirche hinausläuft, war so nicht geplant. Aber ich glaube, die Aufgabe hat mich gesucht.
Wo sehen Sie derzeit die Kirche?
Wollinsky: Ebenso wie alle anderen Landeskirchen ist auch die badische an einem Punkt des Umbruchs. Bei der Mitgliederentwicklung müssen wir ganz nüchtern sehen, dass wir Menschen auf ihrem Lebensweg unterwegs verlieren. Laut der jüngsten Freiburger Studie, die von einer Halbierung der Mitgliederzahl bis 2060 ausgeht, verlieren wir insbesondere die Menschen zwischen 20 und 40. Wir müssen uns Gedanken machen, was da passiert und was wir anders machen können.
"Wir müssen aber nicht alles alleine hinbekommen"
Was muss sich ändern?
Wollinsky: Wir müssen uns fragen, ob wir für die verschiedenen Lebenssituationen die richtigen Angebote und Hilfen anbieten. Zum Beispiel nach der Konfirmation - welche Beziehungsmöglichkeiten zu kirchlichen Mitarbeitern und Ehrenamtlichen gibt es in dieser spannenden Phase zwischen 15 und 20? Auch in der Phase zwischen 20 und 30, wenn viele eine Ausbildung machen oder ein Studium beginnen, passiert viel. Gleichzeitig lernen viele ihren künftigen Lebensgefährten kennen und schwimmen sich frei von den Eltern. Das führt zu herausfordernden Lebenssituationen, in denen ein hoher Bedarf auch an geistlicher Unterstützung entsteht. Gleichzeitig gibt es eine hohe Konkurrenz mit weltlichen Angeboten.
Wobei genau brauchen die Menschen in dieser Zeit geistliche Unterstützung?
Wollinsky: Das gesellschaftliche Credo scheint derzeit zu sein: 'Jeder darf und muss sich selbst verwirklichen', 'Alles ist möglich' und 'Verbote sind per se schlecht'. Da halte ich es eher mit Paulus: 'Alles ist uns erlaubt, aber nicht alles dient uns zum Guten.' Hinzu kommt ein starker ökonomischer Zwang: Man muss Leistung bringen, gut aussehen, eine Reihe von Besitztümern anhäufen. Das sind aber alles Äußerlichkeiten, und das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es am Ende um unser Seelenleben geht und um Gott. Das gerät in einer Zeit des 'Ich kann alles! Ich muss alles hinkriegen!' völlig in Vergessenheit. Wir müssen aber nicht alles alleine hinbekommen. Und es gibt auch, gerade in der Phase zwischen 30 und 40, wo auch beruflich viel passiert, einen ganz hohen Bedarf an Persönlichkeitsentwicklung, gerade wenn man in eine Führungsrolle kommt. Da muss ich mich ganz anders mit mir selbst auseinandersetzen. Vielleicht merke ich dann: Ich kann gar nicht alles und muss meine Grenzen akzeptieren. Da hilft es zu wissen, dass man getragen ist.
Zahlreiche Menschen glauben, die Kirchen haben sehr viel Geld. Stimmt das?
Wollinsky: Es klingt öfter so, als wäre Kirche unendlich reich. Tatsache aber ist: Die Kirche hat viele Gebäude, zum Beispiel Gemeindehäuser. Diese dienen aber einem Zweck, und wir müssen sie unterhalten und dafür Geld zurücklegen. Außerdem müssen wir Rücklagen bilden für die Renten der kirchlich Mitarbeitenden. Das sind die Hauptgründe dafür, dass die Kirche Finanzvermögen hat und haben muss. Bei uns gibt es aber keine Aktionäre, die eine Dividende bekommen. Auch der Bischof oder andere Mitarbeitende bekommen keine Provision. Über unsere Finanzen müssen wir zudem gegenüber der Landessynode transparent und nachvollziehbar Bericht erstatten. Dabei wird deutlich: Unser Geldvermögen dient dazu, unseren Verpflichtungen in Zukunft nachzukommen.
Was beinhaltet die Rolle des Finanzreferenten?
Wollinsky: Die Grundordnung der Evangelischen Landeskirche in Baden zeichnet meine Rolle vor als Einheit von geistlicher und weltlicher Leitung. Für das Geld zuständig, bin ich eher der Weltlichkeit zugeordnet, aber letztlich ist Geld nur ein Mittel zum Zweck. Der Zweck, also die Kernaufgabe von Kirche ist es, Menschen mit dem Wort Gottes zu erreichen und ihnen in Wort und Tat zu dienen. Finanzen haben da eine unterstützende Funktion. Unsere Aufgabe ist es, alles so zu planen und zu verwalten, dass wir sorgsam mit unseren finanziellen Ressourcen umgehen. Mit einer schwindenden Zahl von Mitgliedern und verringerten finanziellen Möglichkeiten wird es eine unserer Aufgaben sein, uns als Organisation zu verkleinern, gerade auch, was die verwaltenden Aufgaben angeht. Da müssen wir so schlagkräftig wie möglich sein, um trotzdem in der Lage zu sein, die Kernaufgaben zu erfüllen. Auch weglassen ist eine Aufgabe. Positiv gesprochen: Wir können uns auf die Dinge fokussieren, die uns wirklich wichtig sind. Das heißt etwa, klare Antworten zu geben auf die großen Fragen, die Kirche und Gesellschaft bewegen.
Welche Veränderungen sind da möglich?
Wollinsky: Pfarrerinnen und Pfarrer müssen wir entlasten von allen Aufgaben, die auch jemand anders machen kann, zum Beispiel Verwaltungsaufgaben. Dann können sie sich ganz auf diejenigen Aufgaben konzentrieren, die so nur sie erledigen können. Es geht darum, Ressourcen so wirkungsvoll wie möglich einzusetzen. Dies erfordert auch Vertrauen in andere, an die man selbst Aufgaben abgibt.
Die Landeskirche will die Gebäudekosten in den Gemeinden bis 2025 um 30 Prozent zu senken, dafür werden beispielsweise auch Gemeindehäuser aufgegeben. Wie erleben Sie diesen Prozess?
Wollinsky: Das ist immer schmerzhaft, weil an den Gebäuden viel Herzblut hängt. Aber lebendiger Glaube hängt nicht von Gebäuden ab. Wir sollten die richtige Balance finden zwischen der Förderung der Infrastruktur und dem Investieren in Menschen. Ich will diese Herausforderung aber nicht kleinreden. Wir werden unterschiedliche Lösungen finden müssen, zum Beispiel für Kirchengemeinden in der Stadt oder auf dem Land.