"Oberfranken ist inzwischen nicht mehr Endstation, sondern Durchgangsland inmitten Europas." Solche Sätze kennt man noch aus der Zeit nach der deutschen Wiedervereinigung und dem Fall des "Eisernen Vorhangs" vor rund drei Jahrzehnten. Mit dieser Aussage meint der Bayreuther Ruhestandspfarrer Michael Thein freilich nicht den politischen oder wirtschaftlichen Wandel. Denn inzwischen durchqueren immer mehr Pilger die Region: "Oberfranken liegt nun im Zentrum des europäischen Jakobswegenetzes, das sich vom Baltikum bis nach Santiago de Compostela im Nordwesten Spaniens erstreckt."
Der Apostel Jakob, zu dessen Grab in Santiago de Compostela alljährlich Tausende Menschen pilgern, gehört auch in Franken zu den beliebtesten Kirchenpatronen: 36 Jakobskirchen gibt es in Oberfranken, 13 liegen an Pilgerwegen, die heute zum europäischen Jakobswegenetz gehören. "Unsere Jakobuskirchen zeugen von mittelalterlicher Jakobusverehrung, sind aber nicht automatisch Nachweis für einen historischen Weg", sagt der evangelische Theologe Thein, der sein Expertenwissen über diese Pilgerwege buchstäblich "erwandert" hat. In 20 Jahren hat er rund 10.000 Kilometer als Pilger zurückgelegt: "Der Jakobsweg entsteht unter den Füßen, er entsteht im Gehen."
Historische Verbindungen
Weil es laut Thein in Oberfranken keine dokumentierte Tradition wie in Spanien oder in Frankreich gibt, haben sich die Initiatoren an zwei alten Hauptverbindungswegen orientiert: der "Nürnberger Geleitstraße" von Erfurt über Coburg und Bamberg nach Nürnberg und der "Via imperii" ("Reichsstraße") von der Ostsee über Leipzig nach Hof und über Bayreuth weiter nach Nürnberg. In enger Zusammenarbeit mit regionalen Wandervereinen und mit der Fränkischen St.-Jakobus-Gesellschaft wurden bestehende Wanderwege ins Netz eingebunden und tragen nun das blaue Zeichen mit stilisierter gelber Jakobsmuschel.
Vor genau zehn Jahren wurde ein wichtiger Lückenschluss vollzogen: Am 25. Juli, dem Gedenktag des Heiligen Jakob, wurde im Jahr 2009 die Eröffnung des oberfränkischen Jakobuswegs in Marktschorgast (Landkreis Kulmbach) mit einem ökumenischen Gottesdienst gefeiert. Insgesamt 183 Kilometer lang ist dieses Teilstück von Hof zum historischen Pilgersammelpunkt St. Jakob in Nürnberg. Von Hof aus wurde das Netz mittlerweile durch Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt bis nach Görlitz und Berlin erweitert.
Bewegung ohne Stillstand
Nicht nur die beiden Hauptwege, die durch Oberfranken führen, sondern auch mehrere Nebenwege, die von der Hauptstrecke als eine Art "Bypass" weitere Jakobskirchen an den Pilgerweg anbinden, hat Thein mit Hilfe seiner Partner erschlossen, markiert, sowie Infotafeln und ausführliche Wegbeschreibungen für Flyer und im Internet erstellt. Rund 500 Kilometer umfasst das Wegenetz in Franken. Für etwa die Hälfte davon ist Thein im Auftrag der Fränkischen Jakobus-Gesellschaft zuständig, in deren Vorstand sich der 64-Jährig ebenfalls engagiert.
Die Pilgerbewegung kennt - wie der Begriff schon andeutet - keinen Stillstand. Am "Samstagspilgern", das Thein seit 15 Jahren anbietet, beteiligen sich monatlich 20 bis 30 Interessierte. In Hof wurde vor sieben Jahren eine neue Pilgerherberge eröffnet, auch entstanden weitere private Unterkunftsmöglichkeiten. Vor einem Jahr ging im Coburger Land das Projekt "Churchhostel" an den Start, mit dem Kirchengemeinden in ihren Häusern Quartiere für Pilger, Wanderer oder Tourenradler zur Verfügung stellen. Und in immer mehr Kirchen entlang der Wege sind inzwischen Pilgerstempel zu finden, mit denen die Pilgerinnen und Pilger ihren Besuch dokumentieren können.