In dem Brief rekapituliert Moltke in Todeserwartung Prozess und Urteil: "Die wahre Offensive Freislers (ging) gegen die katholische Kirche und gegen die evangelische Kirche, gegen mich, (...), der ich ein protestantischer Laie war, gegen mich konnte der Nationalsozialist Freisler eben nur vorgehen als gegen den Christen schlechthin. Das hat ihn zu jenen extremen, klaren Äußerungen über die letzte Unvereinbarkeit von Christentum und Nationalsozialismus gezwungen, die, selbst, wenn wir fallen, als fruchtbarer Same ins Land gehen werden."
Am 23. Januar 1945 wird Moltke hingerichtet, Delp am 11. Februar. Aus den Worten Moltkes spricht die Annahme, Freisler habe an ihm als bekennenden Protestanten ein Exempel statuieren wollen. Er glaubte, gegen ihn und den Katholiken Delp sei stellvertretend ein Prozess gegen die kirchlichen Institutionen geführt worden.
Kein kirchlicher Widerstand
Der Rechtsanwalt Moltke, Nachfahre eines mecklenburgischen Adelsgeschlechts, und der Jesuitenpater Delp gehörten zur zivilen Widerstandsgruppe des "Kreisauer Kreises", benannt nach dem Gut Kreisau in Schlesien, das der Familie Moltke gehörte und wo ab 1940 konspirative Treffen einer Gruppe von Regimegegnern stattfanden. Moltke war einer der Vordenker des Kreises und arbeitete daran, das klandestine Netzwerk aus zivilen, kirchlichen und später auch militärischen Widerstandskämpfern auszuweiten. Er erfuhr schon früh von militärischen Umsturzplänen. Delp brachte Ideen des christlichen Sozialismus und der katholischen Soziallehre in die Kreisauer Pläne für eine Nachkriegsordnung mit ein. Auch er arbeitete daran, das Netzwerk des Widerstands zu erweitern und war Mitwisser der Attentatspläne.
Der Kreisauer Kreis war, obwohl viele seiner Mitglieder gläubige Christen waren, dennoch keine kirchliche Widerstandsgruppe. Viele der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 waren Christen und begründeten ihren politischen Widerstand auch mit christlichen Werten. Doch einen organisierten kirchlichen Widerstand im Dritten Reich hat es nie gegeben. Das bestätigt Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin. "Es gab Widerstand einzelner Christen gegen die Hitler-Diktatur", sagt Tuchel. "Und diese einzelnen wurden zumeist von ihren Amtskirchen im Stich gelassen."
So war etwa auch die Bekennende Kirche, die sich 1934 in Wuppertal-Barmen gründete, keine kirchliche Widerstandsorganisation. Sie sollte ein Gegensatz sein zu den gleichgeschalteten evangelischen Amtskirchen, die sich die "Deutschen Christen" nannten. Dietrich Bonhoeffer, Theologe und Widerstandskämpfer, war Mitglied der Bekennenden Kirche. Er stand in Verbindung mit den Verschwörern des 20. Juli, kam in Haft und wurde später für seine politischen Widerstandsaktivitäten noch in den letzten Kriegstagen 1945 ermordet.
Auch wegen solcher Schicksale wird die Bekennende Kirche heute in der kirchlichen Erinnerungskultur als Bollwerk gegen den Nationalsozialismus wahrgenommen. Diese Zuschreibung sei eine Konstruktion aus der Nachkriegszeit, sagt Tuchel. Er spricht deshalb von Widerstand von Christen und nicht von kirchlichem Widerstand.
Glaube gab Kraft
Beispiele für einzelne Christen, die sich als Gegner des Regimes im Widerstand engagierten, gibt es indes viele: Neben Bonhoeffer, Delp und Moltke gab es viele weitere - darunter auch den evangelischen Pfarrer Harald Poelchau. Auch er war Mitglied des Kreisauer Kreises, seine Beteiligung blieb jedoch bis Kriegsende unentdeckt. Er half später als Gefängnispfarrer in der Berliner Haftanstalt Tegel vielen Widerstandskämpfern als Seelsorger durch die Haftzeit, an deren Ende meist die Hinrichtung stand. Die Briefe Moltkes, Bonhoeffers, Delps und vieler anderer zeugen von tiefer Gottesliebe und Frömmigkeit im Gefängnis. "Der Glaube gab den Menschen dann auch in der Haft Kraft", sagt Tuchel.
In der Haft entstand Bonhoeffers berühmtestes Gedicht, das Menschen bis heute zu Tränen rührt: "Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar."