Wunder
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Gibt es Wunder?
Wunder sind unmöglich
Es gibt mehr zwischen Himmel und Erde als die Wissenschaft erklären kann. Wunder sind für Jesus kein Mittel zur Selbstdarstellung, sondern sie bestätigen den Glauben derer, denen das Wunder zuteil wird.

„Wunder gibt es immer wieder…“  heißt es in einem bekannten Schlager. Aber wer glaubt denn so etwas noch? Heute sprechen wir von Wundern meist, wenn Ereignisse den Naturgesetzen zu widersprechen scheinen. Alles, was sich natürlich erklären lässt, kann kein Wunder sein – eigentlich gibt es heute keine Wunder mehr, für alles lässt sich doch irgendeine rationale Erklärung finden. Im Kontrast dazu steht der inflationäre Gebrauch des Ausdrucks „Wunder“ auch für wissenschaftliche Phänomene und Entdeckungen: Von Wundern der Technik, der Medizin, der Genforschung ist da die Rede. Was genau verstehen Christen heute eigentlich unter einem Wunder? Gehören sie allein in den Bereich der Schlagertexte und der naiven Religiosität oder betreffen sie uns noch?

Von der Schönheit der Natur bis zu großen technischen Errungenschaften, von Heilungen und Rettungen bis zu Visionen und weinenden Heiligenstatuen: Was uns verwundert oder wunderbar erscheint, nennen wir oft Wunder. Aber sofort schleichen sich Zweifel ein, man möchte doch so gerne glauben, dass es auch wirklich ein Wunder ist, also müssen Beweise her: „Erst wenn du mir das Wunder beweist, kann ich es anerkennen!“ Dabei wird übersehen, dass die Unbeweisbarkeit zum Wesen der Wunder gehört. Wunder lassen sich nur erfahren. Wunder führen auch nicht zum Glauben – jedenfalls, wenn man unter Glauben mehr versteht als naives Für-wahr-Halten. Sie setzen den Glauben vielmehr schon voraus. Das betont auch Jesus in den Wundererzählungen immer wieder. Wundertaten als Beweise lehnt er ab: „Was fordert doch dieses Geschlecht ein Zeichen? Wahrlich, ich sage euch: Es wird diesem Geschlecht kein Zeichen gegeben werden!“ (Markus 8,11) Jesus wusste, dass Wundertaten ohne schon vorhandenen Glauben oft als Scharlatanerie gedeutet werden. Baten ihn aber Menschen um Hilfe, die Hoffnung hatten und wirklich glaubten, dass Jesus ihnen helfen könne, verwehrte er sie ihnen nicht. Wenn Jesus dem Blinden, der wieder sehend geworden ist nach der Heilung sagt „Dein Glaube hat dir geholfen.“ (Lukas 18,42), wird deutlich: Er versucht, sich mit seinen Taten – die im Neuen Testament übrigens meist „Zeichen“ oder „Machttaten“ und nicht Wunder genannt werden – nicht selbst darzustellen oder zu beweisen. Die Grundlage dafür, dass das Wunder geschieht, ist der Glaube des Geheilten.

Erfahrbar, nicht beweisbar

Jesus war in seiner Umgebung nicht der einzige Wundertäter. In der damaligen Zeit waren solche Geschehnisse viel üblicher als heute. Die Menschen wussten noch nichts von Naturgesetzen und sahen die Wunder als Zeichen dafür an, dass Göttliches in die Welt hineinwirkt. Jesus verkündete den Menschen das anbrechende Reich Gottes. Die Wunder lassen dies erfahrbar werden. Hoffnung wird möglich, wo alles aussichtslos schien, Menschen werden satt und heil, körperlich wie geistig.

Sicher muss man nicht alle Wundergeschichten genauso für wahr halten, wie sie in der Bibel stehen. Im Verlauf der Überlieferung sind sie aufgebauscht und übertrieben worden. Dennoch: Der reizvolle Versuch, sie rational wegzuerklären, geht an ihrem wahren Gehalt vorbei. Und treibt gelegentlich Blüten, die noch absurder scheinen als die Wundergeschichten selbst: Davon, dass Jesus im Nebel über im Wasser schwimmende Baumstämme lief, als er übers Wasser ging ist dann plötzlich die Rede, davon dass das Boot bei der Sturmstillung lediglich gerade um eine Landzunge gebogen war und die Toten, die Jesus auferweckt haben soll, seien eigentlich nur scheintot gewesen. Während in charismatischen Gemeinschaften angebliche Wunder in öffentlichen Gottesdiensten oft großartig zur Schau gestellt werden – da stehen Gelähmte plötzlich aus ihrem Rollstuhl auf, oder zunächst Schmerzgekrümmte beginnen jubelnd Gott zu loben – erkennt die katholische Kirche Wunder, die etwa an berühmten Wallfahrtsorten geschehen, nur an, wenn sie von einer kirchlichen Untersuchungskommission zweifelsfrei als über- oder widernatürlich ausgewiesen worden sind. Beides hinterlässt ein ungutes Gefühl beim Beobachter, scheint hier doch zugunsten des offensichtlich unstillbaren menschlichen Verlangens nach beweisbaren Wundern vergessen zu werden, was schon Jesus wusste: Wunder kann man nicht beweisen, sondern nur glaubend erfahren. Ob sich das jeweilige Geschehen dann wissenschaftlich erklären lässt oder nicht wird dann unwichtig. Martin Luther beschrieb das so: „Gottes Wunder geschehen nicht darum, dass wir sie ermessen und fangen, sondern dass wir dadurch glauben und getrost werden sollen.“

„Wenn sie dir begegnen, musst du sie auch seh‘n“, fährt der Refrain des Schlagers fort. Ja, Wunder sind nach christlicher Auffassung möglich, man muss nur hinschauen, sich öffnen für die Sinne, die über unsere begrenzte Vorstellungskraft hinausgehen. In Erfahrungen von Liebe, Heilung oder Rettung, aber auch im Staunen über echte Begegnungen oder die kleinen, zarten, leisen Dinge des Alltags kann etwas deutlich werden von dem, was hinter den Dingen steckt, von der Liebe Gottes, davon, dass es mehr gibt, als sich wissenschaftlich erklären lässt.

Dieser Artikel erschien erstmals am 7. Oktober 2019 auf evangelisch.de.