Kirchenmusik
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Wer glaubt, dass in früher nur die Predigt eine Rolle spielte, der irrt. Musik war mehr als nette Staffage.
Kirchenmusik ist weniger wichtig als die Predigt
Wer glaubt, dass in früheren Zeiten nur die Predigt zählte und Musik nicht mehr als nette Staffage war, der irrt. Der Theologe Uwe Birnstein klärt auf.

Psalmen und gregorianische Gesänge, Orgelmusik und Posaunenchöre – Musik spielte in der Kirche von Anfang an eine große Rolle. Schon im Kolosserbrief wird die Gemeinde zum Singen aufgefordert: "Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen." (Kolosser 3,16)

Das Nebeneinander von Lesungen und Psalmengesängen im Gottesdienst knüpfte an die jüdische Tradition an. Offenbar war man sich schon früh bewusst, dass Predigen und Reden, bei dem die Gemeinde nur passiv zuhört, zu einseitig und nicht gerade konzentrationsförderlich ist. Kirchenvater Ambrosius (339 – 397) stellte jedenfalls schon im vierten Jahrhundert fest: "Was hat man nicht für Arbeit, in der Kirche das Volk zum Schweigen zu bringen, wenn bloß vorgelesen wird! Sobald aber der Psalm ertönt, wird alles still." Musik wurde als ein anderer Zugang zu religiösen Erfahrungen angesehen: "Nichts erbaut die Seele so sehr und beflügelt sie, löst sie von der Erde und befreit sie von den Fesseln des Leiblichen, befähigt sie zu hohen Gedanken und lässt sie alles Irdische verachten, wie die Melodie der Musik und ein mit Rhythmus erfülltes göttliches Lied", meinte Johannes Chrysostomus (349-407).

Andererseits war auch immer die Befürchtung groß, der alleinige Genuss der Musik könne überwiegen oder sie könne sich zu sehr den weltlichen Einflüssen öffnen, so dass die eigentliche Botschaft zu kurz komme. Augustinus (354 – 430) zweifelte: "Und so schwanke ich hin und her zwischen der Gefahr der Sinnenlust und der Heilsamkeit des Kirchengesanges."

Ein Jahrtausend später schwankte der Reformator Johannes Calvin auf protestantischer Seite noch mehr und ließ nur noch einstimmigen Gemeindegesang zu. Reformatorenkollege Ulrich Zwingli war sich sicher: "Die Orgel ist des Teufels Dudelsack, womit er den Ernst der Betrachtungen in Schlummer wiegt", und entfernte Musik und Orgeln gänzlich aus den Kirchen. Martin Luther sah die Sache zum Glück anders: "Die Musik ist eine Gabe und Geschenk Gottes, nicht ein Menschengeschenk. So vertreibt sie auch den Teufel und macht die Leute fröhlich; man vergisst dabei allen Zorns, Unkeuschheit, Hoffart und anderer Laster. Ich gebe nach der Theologie der Musik den nächsten Platz und höchste Ehre." Er wollte die Gemeinde, die im katholischen Gottesdienst mittlerweile fast nur noch als Zuschauer anwesend war, wieder aktiv am Gottesdienst beteiligen und führte statt der lateinischen Gesänge deutschsprachige Kirchenlieder ein. Diese bestanden zum Teil aus Übersetzungen traditioneller Lieder, zum Teil aus Neudichtungen, zu denen er selbst 36 Lieder beisteuerte – neben anderen: "Ein feste Burg ist unser Gott" und "Vom Himmel hoch, da komm ich her".

1524 wurde ein erstes Gesangbuch herausgegeben. Diese Lieder halfen, religiöse Themen und auch die Ideen der Reformation unter den Menschen zu verbreiten. Glaube lässt sich kaum nur denkend über die Predigt vermitteln. Das gemeinsame Singen bezieht den ganzen Menschen mit all seinen Sinnen und die ganze Gemeinde ins Gebet, in die Verkündigung, in Klage und Lob Gottes ein.

"Bey einer andächtigen Musique ist allezeit Gott mit seiner Gnaden Gegenwart.", notierte der manchmal als "fünfter Evangelist" bezeichnete Komponist Johann Sebastian Bach in seiner Bibel. Glaube ist nicht nur etwas Rationales; Musik kann den Glauben spürbar machen. Wer Bachs Matthäus-Passion hört, kann das genauso erfahren, wie jemand, der wieder beginnt, bewusster im Gottesdienst mit allen anderen zusammen zu singen.