Es hat beinahe etwas Meditatives, wenn Ringo Frenzel die 90 Zentimeter langen Kerzenrohlinge in das heiße, flüssige Wachs taucht. Beim Auftauchen wartet er kurz, lässt das Wachs abtropfen. Es hört sich an, als sei es Wasser. Und so sieht es auch aus: transparent. Erst nach dem Abkühlen und durch eine gewisse Lichtbrechung wirkt das Wachs weiß. Mit jedem Tauchgang legt sich eine neue Schicht um die Rohlinge. Das kann sich bis zu 60 Mal wiederholen. Ringo Frenzel ist Wachszieher in der Wachszieherei beim Kloster Rosenthal im Landkreis Bautzen in Sachsen.
Es ist einer der ältesten Handwerksberufe, doch wenige kennen heute noch den Beruf des Kerzenherstellers oder Wachsbildners, wie es offiziell heißt. Und ebenso wenige erlernen ihn. Die Bayerische Wachszieher-Innung mit dem Status einer Bundesinnung vertritt die Wachszieher in ganz Deutschland. Dabei reichen die Betriebsgrößen von kleinen Werkstätten bis hochautomatisierten Fabriken mit mehreren Hundert Beschäftigten.
Die Wachszieherei beim Kloster Rosenthal in Sachsen gehört mit zwei Mitarbeitern zu den sehr kleinen Betrieben. Und dennoch kommen aus dieser Traditionswerkstatt ein Großteil der Kerzen in den Kirchen im ostdeutschen Raum; etwa der Dresdner Frauenkirche. Aber auch weltweit stehen Kerzen aus der sächsischen Werkstatt in den Kirchen; zum Beispiel in Jerusalem oder in St. Petersburg. Evangelisch, katholisch oder orthodox – die Konfession spielt dabei keine Rolle. "98 Prozent unserer Kerzen stellen wir für Kirchen her", erläutert der Geschäftsführer Jörg Weber.
Darunter seien Altarkerzen, Osterkerzen oder Kerzen zur Taufe und Konfirmation. Eine Altarkerze zum Beispiel kann bei einer Höhe von 90 Zentimetern und einem Durchmesser von neun Zentimetern bis zu 5,8 Kilogramm wiegen. Es ist also auch Muskelkraft gefragt. Vor allem, weil hier noch vieles per Hand gefertigt wird. Zwar werde im ersten Arbeitsschritt der Rohling mit einer elektrischen Zuganlage hergestellt, aber "danach fertigen wir alles manuell und gehören damit zu den wenigen Wachsziehern bundesweit, die das noch so machen", sagt Jörg Weber. Und so sei jede Kerze, die hier entstehe, in gewisser Weise individuell.
Insgesamt sind es knapp zehn Tonnen Wachs, die Jörg Weber und Ringo Frenzel pro Jahr verarbeiten. Hauptsaison ist jeweils von November bis Ostern. Sie übernehmen dabei alle Aufgaben – vom Herstellen der Kerze, Verzieren bis zum Verpacken und dem Verschicken.
Verwendet für die Kerzenherstellung wird jeweils reines Paraffin. Die Dochte sind aus Baumwolle geflochten und haben unterschiedliche Stärken, je nachdem, wie groß eine Kerze werden soll. Lediglich das genaue Zusammenspiel von Docht und Kerzenmasse lässt ein gutes Produkt entstehen. "Denn beim Anbrennen der Kerze muss sich das Wachsbett so entwickeln, dass die Kerze an den Rändern gleichmäßig herunterbrennt", beschreibt Jörg Weber. Eine Kerze sollte nicht ausgepustet werden, weil der Docht sonst nachglühe und dann womöglich zu klein werde, sodass das Verhältnis zwischen Kerzenmasse und Docht nicht mehr stimme.
Im ersten Arbeitsschritt der Kerzenherstellung werden die Rohlinge am Stück mit einer Zuganlage hergestellt. Wie auf einem Webstuhl sind die Dochte aufgespannt und laufen über große Trommeln durch ein "Wachs-Bad". Das Wachs ist dabei auf etwa 85 Grad erhitzt.
Dieser Prozess dauert rund zwei Stunden. Danach sind knapp 110 Meter Rohlinge fertig und müssen sofort im warmen Zustand geschnitten werden. "Das sind aber noch keine Kerzen", betont der Wachszieher. Erst durch das spätere Tauchen werde der Rohling zu einer Kerze. Hierbei mische er ein Granulat dem Paraffin bei, damit eine andere Kohlenstoffverbindung in dem Wachs entstehe. Diese äußere Schicht sei dann etwas härter als der innere Kern.
Dass Jörg Weber eines Tages Wachszieher sein würde, war ursprünglich nicht geplant. Der heute 54-Jährige, der in Zschornewitz in Sachsen-Anhalt aufgewachsen ist, hat eigentlich Zerspaner als Beruf gelernt und unter anderem als Heizungs- und Sanitärinstallateur gearbeitet.
Später machte er sich mit einer Zeitarbeitsfirma selbstständig und lernte dabei die Wachszieherei kennen. Dort wurde ein Geschäftsführer gesucht. "Ich beschäftigte mich intensiv mit dem Thema und war von dem Handwerk beeindruckt", erinnert er sich. 2013 stieg er in die Firma ein und lernte das Fachwissen von seinem Vorgänger Joachim Seidel. Obwohl er kein Christ ist, setzt er sich seitdem mit dem Glauben auseinander. Denn er hat beruflich oft mit Kirchenvertretern zu tun. "Ich kenne das Vaterunser und alle Feiertage im Kirchenjahr", verrät er und ein bisschen glaube auch er an etwas, was sich nicht erklären lasse.
Eine Werkstatt mit Geschichte
Einmal im Jahr besuche ihn ein katholischer Pfarrer und segne seine Wachszieherei. Denn die Werkstatt, die sich in einem ehemaligen Bauernhof in Rosenthal befindet, gehörte einst zu der benachbarten katholischen Wallfahrtskirche Rosenthal, die dem Zisterzienserkloster St. Marienstern in Panschwitz-Kuckau unterstellt war. Seit 2014 arbeitet der Betrieb eigenständig als GmbH mit vier Gesellschaftern.
Über die vorherige Geschichte der Wachszieherei sei wenig bekannt, sagt Jörg Weber. Zwar existierten Unterlagen aus der Zeit zwischen den Weltkriegen, aber wann die Werkstatt gegründet wurde, weiß er nicht. Doch was sicher ist: zuerst befand sich die Werkstatt in Dresden. 1975 habe sie Pater Ubald, der Prior in Rosenthal war, hierhergeholt. Rosenthal gehört heute zur Gemeinde Ralbitz-Rosenthal, die sich im Kerngebiet der sorbischsprachigen Lausitz befindet.
Wenn zum Beispiel Reisegruppen die Wallfahrtskirche in der Nachbarschaft besuchen, kommen sie bisweilen auch zu ihm und wollen etwas über das selten gewordene Handwerk des Kerzenmachers erfahren. Auch für Konfirmanden bietet er Führungen durch seine Werkstatt an. Zwar seien immer alle bewegt und von den alten Techniken begeistert, die Zukunft der Wachszieherei bleibe dennoch ungewiss. "Es ist harte körperliche Arbeit und wir finden niemanden, der das noch machen möchte", erzählt Jörg Weber. Und so kann es sein, dass er und Ringo Frenzel womöglich die letzten traditionellen Wachszieher in Rosenthal sind.