Die 68-jährige Hiltrun Kneidl erinnert sich gerne an den letzten Urlaub mit ihrem Mann Heinz. Zwar konnte sie wegen des schlechten Wetters nur einen kurzen Blick auf das malerische Alpenpanorama vor der evangelischen Bildungs- und Erholungsstätte Langau erhaschen. Dafür hatte sie endlich wieder Zeit in Ruhe zu lesen - "ohne denken zu müssen: Mein Mann braucht wieder was zu trinken. Oder: Jetzt musst du ihn anders hinsetzen."
Zuhause im fränkischen Ansbach ist Kneidl rund um die Uhr für ihren neun Jahre älteren Ehemann da. Vor elf Jahren ging es los: Anfangs musste sie sich nur um die eine oder andere Vergesslichkeit kümmern. Inzwischen sitzt er im Rollstuhl. Zwar bekommt er noch etwas von seinem Umfeld mit, kann aber nicht mehr selber essen, sich kaum noch bewegen und sprechen. "Irgendwann hat man keine Freizeit mehr für sich", sagt Kneidl.
29 organisierte Urlaubsfahrten
Trotzdem möchte sie gemeinsam mit ihrem Partner Urlaub machen. "Aber wenn ich allein mit ihm fahre, habe ich nichts davon", weiß Kneidl. Deshalb nimmt sie schon seit fünf Jahren an Urlauben teil, die speziell auf die Bedürfnisse für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen abgestimmt sind.
Anfangs habe es nur wenige solcher Angebote gegeben, sagt Kneidl. Aktuell zählt ein Verzeichnis der Deutschen Alzheimer Gesellschaft bundesweit immerhin 29 Einträge für organisierte Urlaubsfahrten. In Oberbayern gibt es allerdings nur eine Option: Die "Erholungswochen für Menschen mit Demenz und deren Angehörige" in der Bildungs- und Erholungsstätte Langau.
Seit Anfang 2018 gibt es dort eine vom Bundesfamilienministerium und dem Forum Gemeinschaftliches Wohnen geförderte Projektstelle, die der Entlastung pflegender Angehöriger von Demenzkranken gewidmet ist. "Wir wollen Angehörigen von Demenzkranken eine Auszeit ermöglichen", sagt Lisa Wohlfrom, die das Programm zusammen mit ihrer Kollegin, der Sozialpädagogin Ursula Feichtmair, leitet.
Das Konzept: Sechs Tage lang können sich zehn pflegende Angehörige vom kräftezehrenden Alltag ausruhen. Sie unternehmen Ausflüge nach Murnau oder Füssen, tauschen sich aus und bilden sich in Gesundheits- und Entspannungskursen fort. Die zehn dementen und pflegebedürftigen Menschen werden rund sechs Stunden am Tag von drei Krankenpflegern und drei speziell geschulten ehrenamtlichen Demenzhelferinnen betreut. Dafür haben Wohlfrom und Feichtmair Kooperationen mit der Diakonie Bayern, dem Bürgerverein Lech und der Ökumenischen Sozialstation Oberland gestartet.
Auch die gemeinsame Zeit der Urlauberpaare kommen in der Langau nicht zu kurz, erklärt die Ernährungsberaterin Wohlfrom: Die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen essen drei Mal am Tag zusammen, verbringen die Mittagspause und die Abendstunden gemeinsam. In der Früh wird eine leichte Form der Morgengymnastik veranstaltet. So falle es den meisten Demenzkranken auch nicht schwer, sich an die neue und fremde Umgebung zu gewöhnen, sagt die Fachfrau: "Der Ortswechsel macht nicht so viel aus, es geht mehr um die Bezugsperson."
Hiltrun Kneidl hat die sechs Tage im Pfaffenwinkel genossen. Um sich zu entspannen, hat sie an drei Tagen einen Yogakurs besucht. "Das hat mir total gut geholfen." Außerdem hat sie etwas über Bewegungslehre in der Pflege gelernt. Und was ihr noch wichtig ist: der Kontakt zu anderen Pflegenden. Es mache Mut zu sehen, wie andere Menschen die schwierige Situation bewältigten, sagt Kneidl.
Besonders positiv in Erinnerung geblieben sind ihr die behindertengerechten Räume in der Langau: großzügig geschnittene Zimmer und Aufenthaltsräume, ein Pflegebett für ihren Mann, Duschen ohne Stufen - das Ergebnis der Grundsanierung der Langau in Höhe von acht Millionen Euro, die vorletztes Jahr abgeschlossen wurde.
"Bei uns sehen keine zwei Zimmer gleich aus", sagt Leiter Peter Barbian mit Blick auf die unterschiedlichen Bedürfnisse seiner Gäste. Bevor die Besucher kommen, werde ausführlich geprüft, welche Hilfsmittel sie für ihren Aufenthalt benötigten. Auf Anfrage stehe auch ein Desorientierten-Fürsorgesystem zur Verfügung, erklärt der Diakon. Das ist eine Technik, die einen Betreuer informiert, sobald ein Demenzkranker einen bestimmten geschützten Bereich innerhalb des Gebäudes verlässt.
Sechs Tage Auszeit-Erholungswoche mit Vollpension kosten in der Langau für zwei Personen 970 Euro. Die zusätzlichen Kosten für die Betreuung könnten bei der Pflegekasse eingereicht werden, sagt Wohlfrom. Und auch die Präventionsschulungen für die Pflegenden würden in der Regel von den Krankenkassen bezuschusst. Die nächsten Erholungswochen in der Langau seien für Ende August und Ende Oktober geplant. Wie es 2020 mit dem noch so neuen Angebot weitergeht, weiß sie allerdings nicht. Die Finanzierung des Bundesfamilienministeriums läuft Ende des Jahres aus - und wird voraussichtlich nicht verlängert.