"HALTUNG" - in Großbuchstaben – dieses Thema hat sich der "Frankfurter Tag des Online-Journalismus", kurz ftoj, in diesem Jahr gegeben. Die Veranstalter, der Hessische Rundfunk, der Medienbeauftragte der EKD und das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik, waren der Meinung, dass es an der Zeit ist, sich damit zu beschäftigen, welche Rolle "Haltung" im (Online-)Journalismus heute spielt – und wie das zu bewerten ist. Bei ersterem war man sich einig: In Zeiten von größer werdenden gesellschaftlichen Spaltungen und Glaubwürdigkeitskrisen in Politik und Publizistik ist Haltung "wieder modern". Bei zweiterem aber steckte der Teufel im Detail: Nicht immer ist Haltung zeigen per se eine Tugend im Journalismus.
So zitierte der gastgebende hr-Intendant Manfred Krupp den Kollegen Claus Kleber mit seiner Einschätzung, dass Haltung oft eine Entschuldigung für Denkfaulheit sei. Dazu stellte er die Aussage eines weiteren Kollegen, Georg Mascolo, der verriet, dass ihm Journalisten mit Ahnung noch wichtiger seien als solche mit Haltung. Schließlich erzählte er vom Chefredakteur der Washington Post, der jüngst unterstrich, dass seine Redakteur*innen keinen Krieg gegen US-Präsident Trump führten, sondern schlicht ihre Arbeit täten ("We're not at war, we're at work"). Allerdings gäbe es sozusagen Grundhaltungen, die durchaus Voraussetzungen sein könnten für journalistische Arbeit. So sei Artikel 1 des Grundgesetzes nunmal keine Meinung, das sei nicht diskutierbar, sondern durchaus eine basale Haltung.
Haltung ist kein Euphemismus für Meinung
Der Rundfunkbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Markus Bräuer, pflichtete ihm in seinem Grußwort bei: Haltung sei kein Euphemismus für Meinung. Schon Martin Luther mit seinem berühmten Satz "Hier stehe ich und kann nicht anders" habe sich vor fast 500 Jahren auf Grundsätze wie einen Bezug auf Quellen, Beweise und überzeugende Vernunft berufen, als er vor dem Konzil in Worms seine Lehre nicht widerrufen wollte, solange er nicht widerlegt sei. Allesamt journalistische Tugenden also.
Moderator Dennis Horn zitierte denn auch augenzwinkernd den Duden: Für eine gerade Haltung sei Rückgrat wichtig. Im anschließenden Gespräch zwischen dem YouTuber Mirko Drotschmann (MrWissen2Go) und Politikredakteurin Mariam Lau (DIE ZEIT) kristallisierte sich heraus, dass trotz aller Verpflichtung zur Neutralität Haltung bei Journalisten so etwas wie das Vertreten von Werten wie zum Beispiel "Toleranz" umfassen sollte, sozusagen ein Minimalkonsens.
Zweifeln als journalistische Haltung
André Karsten, Social Media-Sprecher der Polizei Frankfurt, hat es da vermeintlich leichter: Er hat als Polizeibeamter einen Eid auf das Grundgesetz und die hessische Verfassung geschworen. Auch er griff auf Artikel 1 GG zurück und leitete für seine Arbeit aus der Unantastbarkeit der Menschenwürde als Grundhaltung direkt die Usenet-Etiquette ab: "Vergiss' nie, dass auf der anderen Seite ein Mensch ist." Auf dieser Grundlage würden er und seine Kolleg*innen eine "gewissenhafte" Arbeit machen – eine, bei der das eigene Gewissen durchaus eine Prüfinstanz sei. So gibt es bei der Polizei Frankfurt zum Beispiel eine Reply-Quote auf Tweets von sagenhaften 86 Prozent. Karsten: "Man muss immer erstmal mit den Leuten kommunizieren, auch wenn sie noch so trollig unterwegs sind." Der Erfolg scheint ihm recht zu geben, auch wenn das natürlich nicht immer ganz einfach sei. Man müsse schon jeden Morgen mit Willen und Überzeugung aufstehen, so Karsten.
Mit der Überzeugung hat Stefan Niggemeier so seine Probleme. Er selbst sei immer wieder am Zweifeln, so der Medienjournalist ("Über Medien"). Und genau das sei eigentlich eine sehr gute Haltung für einen Journalisten: "Journalisten sollten sich nicht einschüchtern, aber immer wieder verunsichern lassen." Natürlich solle man sich für Werte wie ein "Miteinander" ganz praktisch einsetzen, aber "Leidenschaft" als Prinzip für den Journalismus sei ihm da lieber als "Haltung". Gerade wenn diese Haltung nämlich allzusehr demonstriert würde, sei dies oft kontraproduktiv. Wenn Vertreter*innen der AfD beispielsweise mit erkennbarer Ablehnung in Interviews behandelt würden, so stärke dies eher deren Märtyrerrolle. Das seien dann eigentlich "Haltungsschäden". Eigentlich sei es doch vielmehr angezeigt, sich kritisch mit den Inhalten auseinanderzusetzen und Denkmuster und -strukturen dieser Partei zu entlarven.
Vorbehaltlos unterstützt wird Niggemeier in dieser Analyse von Franziska Schreiber. Sie ist YouTuberin für "funk", das Digitalnetzwerk von ARD und ZDF – und AfD-Aussteigerin. Sie berichtet, dass Pressestellen der AfD dies sogar bewusst als Strategie fahren: Eine entsprechende Situation zu provozieren und dann in die Opferrolle zu verfallen. Deswegen habe auch die beste pädagogische Absicht, mit journalistischen Inhalten Werte zu vermitteln, keine Aussicht auf Erfolg: "Bei den meisten Menschen sind diese Werte doch ohnehin schon da – und die anderen nehmen sie auf keinen Fall an." Man könne, so habe es schon Konfuzius formuliert, nichts bekämpfen, ohne es stärker zu machen. Vielversprechender, geradezu zerstörerisch sei es vielmehr, AfD-Funktionär*innen einfach beharrlich zu befragen, bis sie sich selbst entlarvten. Und letztendlich forme oder ändere sich Haltung ja eher in einem langsamen Prozess. So sei es auch bei ihr selbst gewesen, so Schreiber: Irgendwann habe sie wahrgenommen, wie unwohl sie sich fühlte bei vielen Aktionen, Äußerungen und Entscheidungen – schlussendlich habe sie ihre Haltung auf Parteiversammlungen nur noch vorgetäuscht. Nun eine eigene Haltung haben zu dürfen und zu ihr stehen zu können, sei ein tolles Gefühl.
Was aber, wenn man gar keine Fragen stellen kann? Der Sportjournalist Christoph Leischwitz, der vor allem im Fußball-Mekka München arbeitet, berichtete von dutzenden vergeblichen Interviewanfragen allein für Spiegel Online beim FC Bayern München: "Dort hat man es schlicht nicht mehr nötig. Die Zielgruppe, die wir erreichen, erreicht der FC Bayern genauso gut selbst über seine eigenen Kanäle wie zum Beispiel "FC BAYERN.TV"." Sein Fazit: "Haltung im Sportjournalismus besteht darin, kein Fan zu sein!"
Mithin also die Übersetzung von "sich nicht mit einer Sache gemein machen". Dabei aber durchaus kritisch sein. Was kann dann aber "Haltung" für Journalist*innen bedeuten? Vielleicht das, was Stefan Niggemeier am Ende seines Vortrags vorschlägt: Seiner Meinung nach bestünde Haltung am besten darin, "bei dem, was richtig ist, zu bleiben" – und zum Beispiel auch zu korrigieren, wenn man selbst etwas Falsches veröffentlicht habe. Transparenz und Wahrheit als Haltungsziele. Und Zweifel als Basis. Zweifeln mit Rückgrat also.