Nach dem Kirchentag ist vor dem Kirchentag: Bereits im Herbst 2017 traf sich das Präsidium des 37. Deutschen Evangelischen Kirchentages, um über das Leitwort für Dortmund 2019 zu beraten. Pressesprecher Stephan von Kolson nennt zwei wichtige Kriterien dafür: "Der Bibelvers soll gut in die aktuelle Zeit passen und er soll zu einem Thementableau aufgefächert werden können." Die Präsidiumsmitglieder brachten verschiedene Vorschläge mit und einigten sich auf den halben Vers "Was für ein Vertrauen". Generalsekretärin Julia Helmke bezeugte in ihrer Predigt am Kirchentagssonntag (17. Februar), Gottes Geist habe dem Präsidium dieses Wort "als das genau passende" hingehalten. Bei der Programmplanung wurde dann versucht, das Thema "Vertrauen" in möglichst vielen Facetten unterzubringen. "Die Losung ist der rote Faden, der sich durch das Programm des Kirchentags zieht", erläutert Stephan von Kolson.
Die Losung "Was für ein Vertrauen" stammt aus dem 2. Buch Könige im Alten Testament. Dort ist der Vers etwas länger und formal eine Frage: "Was ist das für ein Vertrauen, das du da hast?" (2. Könige 18,19 nach Luther). In der Einheitsübersetzung lautet der Vers: "Worauf vertraust du denn, dass du dich so sicher fühlst?", in der Kirchentags-Übertragung: "Was ist das für ein Vertrauen, auf das du dich stützt?" Buber und Rosenzweig, die sich nah an den hebräischen Text halten, formulieren: "Was ist das für ein Verlass, worauf du dich verlassen hast?"
Tatsächlich kommt der zentrale Begriff "Vertrauen" im Hebräischen doppelt in der Frage vor, einmal als Substantiv, einmal als Verb. Die Bedeutung des Substantivs umfasst neben "Vertrauen" auch "Sicherheit", "Zuversicht" und "Hoffnung". Das Verb "vertrauen" kann auch bedeuten: "sich verlassen auf" (Buber-Rosenzweig), "sich sicher fühlen" (Einheitsübersetzung), "zuversichtlich sein". Es ist, so die Alttestamentlerin Christl Maier in ihrer exegetischen Skizze, "ein theologisch bedeutsames Wort, denn es wird überwiegend in Psalmen, Liedern und Gebeten verwendet, um das Vertrauen auf Gott auszudrücken". Die Bedeutung könne deswegen sogar bis hin zu "glauben" reichen. Auch im Deutschen bedeutet das Wort "trauen" seiner Herkunft nach ursprünglich "glauben, hoffen, zutrauen", später "Vertrauen schenken" und "sich zutrauen, wagen" (Duden Herkunftswörterbuch).
Wer stellt nun im biblischen Kontext wem die Frage "Was ist das für ein Vertrauen, das du da hast?", und in welchem Zusammenhang? Die Erzählung (2. Könige 18, wiederholt wird sie im 2. Buch Chronik und bei Jesaja) spielt im Jahr 701 vor Christus. Die mächtigen Assyrer, im Kern zwischen Euphrat und Tigris angesiedelt, erobern weite Teile ungefähr des Gebietes, das man heute "Naher Osten" nennen würde. Israel mit der Hauptstadt Samaria ist bereits unterworfen und assyrische Provinz geworden. Das benachbarte kleine Königtum Juda mit der Hauptstadt Jerusalem muss als Vasallenstaat Assyriens dem Großkönig Tribut zahlen.
Hiskias Vertrauen wird belohnt
Der König von Juda, Hiskia, wagt einen Aufstand gegen Assyrien (2. Könige 18,7), obwohl er militärisch hoffnungslos unterlegen ist. Daraufhin schickt der assyrische König Sanherib mit seinem Heer eine Delegation Richtung Jerusalem, um den König von Juda zu verspotten und einzuschüchtern. In diesem Gespräch zwischen den Gesandten der beiden Könige lässt Sanherib den Hiskia fragen: "Was ist das für ein Vertrauen, auf das das du dich stützt?" Anders gefragt: Wer oder was gibt dir Sicherheit bei deinem wahnwitzigen politischen Plan? Woher nimmst du die Zuversicht, dem mächtigen Assyrerkönig entgegentreten zu können?
Eine Antwort gibt Hiskia nicht direkt, aber wenn, dann hätte sie gelautet: "Auf Gott stütze ich mein Vertrauen." Denn die Bibel erzählt von Hiskia, dass er ein frommer König war. Laut der biblischen Überlieferung erneuerte er den Gottesdienst in Jerusalem, schaffte die Götzenverehrung ab und wandte sich in politischen und persönlichen Angelegenheiten stets im Gebet an Gott beziehungsweise an seinen Berater, den Propheten Jesaja – so auch nach diesem verbalen Angriff Sanheribs. Die Geschichte endet mit einem wundersamen Abzug der Assyrer: Jerusalem wird tatsächlich verschont. Hiskias Vertrauen wird also belohnt, so die Deutung der Bibel.
Ganz so positiv ist unsere Erfahrung nicht immer. Manchmal wird Vertrauen enttäuscht und wir werden dadurch vorsichtig, unsicher, misstrauisch. Vertrauen ist und bleibt riskant. In der Hiskia-Geschichte geht es "um ein Vertrauen auf Gott, das die Realitäten des Lebens nicht leugnet, aber sich letztlich auf Gott verlässt, auch und gerade da, wo sich alle menschengemachten Sicherungen als brüchig erweisen", schreibt Christl Maier. "Was für ein Vertrauen, das aus der Ohnmacht geboren ist – nicht aus der Allmacht", so drückte es Kirchentagspräsident Hans Leyendecker in seiner Predigt zum Kirchentagssonntag aus. Vertrauen sei immer "ein Wagnis", "nur dann gefragt – und auch nur dann wichtig – wenn ich mir selbst nicht ganz sicher bin". Es werde existenziell, so Julia Helmke in ihrer Predigt, "in dem Moment, wo wir auf einmal merken: Jetzt gerate ich ins Schwanken. Verliere meine Mitte, die Verbindung zu mir, zu Gott, zur Welt".
Nicht zufällig ist die Losung für den Kirchentag in Dortmund unvollständig formuliert, so dass die Satzform und die Zielrichtung offen bleiben: "Was für ein Vertrauen" – man könne ein Staunen hören, schlägt die Präses der gastgebenden Evangelischen Kirchen von Westfalen, Annette Kurschus, in ihren Gedanken zur Losung vor: "Unglaublich, dass jemand überhaupt Vertrauen haben kann." Anerkennung oder Bewunderung könne aus dem Ausruf sprechen – oder auch "zynische Häme, … verächtlicher Hohn: … Kann man euch ernst nehmen?" Genauso könnten in dem Satz "nagende Selbstzweifel" stecken, so Kurschus: "Was machen wir da eigentlich, indem wir auf Gott vertrauen?"
Offenheit und Mut als Schwestern des Vertrauens
Eine mögliche Antwort deutete Annette Kurschus in ihrer Predigt am 17. Februar schon an. Die Präses legte den Kirchentagspsalm aus, Psalm 23, "Der Herr ist mein Hirte…". Er ist bekannt als Vertrauenspsalm, wurde diesmal aber als "Asylpsalm" gelesen: Wie wäre das, wenn der Mensch, der da durchs finstere Tal wandert und am Ende seinen Becher gefüllt bekommt, nicht ich bin, sondern ein anderer? Wenn ich Gott nicht nur als meinen persönlichen Hirten, sondern als Hirten aller Menschen begreife – besonders derer, die bedroht werden und flüchten müssen? Spannend ist es, den 23. Psalm einmal mit "dein Hirte" statt "mein Hirte" zu lesen. Gott wird dadurch jedenfalls nicht weniger vertrauenswürdig. "Ich wünsche mir einen Kirchentag, auf dem die Menschen erfahren können, dass die Güte Gottes nicht rationiert ist und dass an Gottes Tisch niemand zu kurz kommt, weil sich noch andere mit dazu setzen", sagte Annette Kurschus. Darauf kommt es beim Kirchentag an: auf die Begegnungen, die Gemeinschaft, die Erfahrung, dass niemand allein unterwegs ist. "Kirchentag ist für mich so eine verdichtete, besondere Zeit, in der … Vertrauen wachsen kann", bekannte Generalsekretärin Julia Helmke in ihrer Predigt. Es wird gestärkt, wenn Menschen miteinander diskutieren, singen und feiern.
Könnten die Schwestern des Vertrauens vielleicht "Offenheit" und "Mut" heißen? "Wer aus der Bibel … Vertrauen zieht, der kann nicht anders, als sich einzumischen in die politischen Fragen und Prozesse", predigte Kirchentagspräsident Hans Leyendecker. Aus der Erlösungsnachricht der Bibel erwächst für ihn Tatendrang: "Die Bereitschaft zu vertrauen und zu konkretem verantwortlichem Handeln gehören zusammen." Dazu gehört für Leyendecker auch, auf dem Kirchentag mit Menschen zu reden, die anderer Meinung sind als er selbst – zum Beispiel in der Zuwanderungspolitik und beim Thema Klimawandel. Miteinander streiten, ohne dass gegenseitiges Vertrauen zerbricht. Für den Kirchentag in Dortmund wünscht sich der Präsident, "dass unser christliches Vertrauen ein Gegengift sein kann gegen das Gift des Misstrauens, das unsere Gesellschaft zu zersetzen droht." Die Losung sei "bestens geeignet, um darüber zu reden, in welcher Welt wir leben wollen und in welcher Welt nicht".
Am Schluss des Kirchentages wird ein Bibelwort aus dem Hebräerbrief stehen: "Werft euer Vertrauen nicht weg." (Hebr 10,35). Hier wird mit "Vertrauen" das griechische Wort "parräsia" wiedergegeben, bei dem kaum Zweifel und Unsicherheit mitschwingen. "Offenheit, Freimütigkeit, Unerschrockenheit" heißt das Wort im Allgemeinen, an dieser Stelle besonders: "Freudigkeit" und "Zutrauen als Begleiterscheinung des Glaubens" (Bauer-Aland: Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments). Auch wenn die Losung "Was für ein Vertrauen" vor Beginn des Kirchentages noch Fragen aufwirft: Am Ende werden die Teilnehmenden gestärkt und ermutigt nach Hause fahren. Darauf kann man wohl vertrauen!
Dieser Artikel erschien erstmals am 19. März 2019 auf evangelisch.de.