Christa, die 72-jährige Sintezza, lächelt unter einem grünen Blätterdach. Es ist die berührende Fotografie einer beeindruckenden Frau, entstanden im Botanischen Garten in München. Doch selbst diese Aufnahme hätte nicht als Titelbild des Buches funktioniert, sagt sie. Jedes Foto hätte die Vorurteile gegenüber ihrer Minderheit bedient. Also ziert die neue Publikation "gern gesehen" nur ein kleines Kreuz und eine schlichte Rose. Denn darum geht es: um Sinti und Roma in München und ihren Glauben.
"Dass die allermeisten Sinti und Roma tiefgläubige Christen sind, wissen viele Menschen nicht", sagt die evangelische Theologin Sabine Böhlau aus München, die das Buch gemeinsam mit Fabian Brüder, Vikar in der evangelisch-reformierten Kirchengemeinde München I, und dem Berliner Fotografen Andreas Tobias geschaffen hat. Am 8. März 2019 wird anlässlich der Deportation von 130 Münchner Sinti und Roma im Jahr 1943 nach Auschwitz erstmalig in der Theatinerkirche ein ökumenischer Gedenkgottesdienst gefeiert, in dessen Rahmen die Neuerscheinung vorgestellt wird. Schätzungen zufolge wurden im nationalsozialistisch besetzten Europa insgesamt 500.000 Sinti und Roma ermordet.
Der schmale Band erzählt von Begegnungen mit Angehörigen einer Minderheit, die nach dem Zweiten Weltkrieg in den Ämtern häufig den gleichen Personen ausgesetzt war, die sie in die Vernichtungslager gebracht hatten, wie Böhlau erklärt. Dem Projekt vorangegangen war eine Tagung im Dezember 2017, als Vertreter von Landesverbänden deutscher Sinti und Roma sowie verschiedener Landeskirchen in Bad Boll zusammenkamen. Dabei machten die Verbände "eindringlich auf das Schweigen der Religionsgemeinschaften nach dem Genozid an ihrer Volksgruppe aufmerksam", schreiben die Autoren im Vorwort. Daraufhin gingen sie in München auf Sinti und Roma zu und ließen sich von ihnen erzählen.
"Ohne Glauben kann man nicht leben": Davon ist Christa fest überzeugt, wie sie im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagt. Sie erzählt offen, strahlt eine große Warmherzigkeit aus. Es war ihre katholische Großmutter, die sie und ihre Geschwister in diesem christlichen Glauben erzogen hat. Einem Glauben, der über Jahrzehnte nur in den Familien tradiert wurde. Denn die Kirchen "haben uns lange Zeit, während dem Nationalsozialismus und danach, überhaupt nicht beschützt", sagt Christa.
Sie hatten laut Pfarrerin Böhlau keinen Halt in der Institution, doch zuhause wurde umso mehr gebetet und in der Bibel gelesen. In einer Wohnwagensiedlung in München-Steinhausen wuchs Christa auf. Die Großmutter trug ihr Leben lang Schwarz, nachdem ihre Eltern und Brüder in Vernichtungslagern ermordet worden waren. Sie lehrte die Kinder ihre Religion, brachte ihnen bei, auch an die anderen zu denken. Im Wohnwagen gab es keinen Strom, eine Wasserleitung nur draußen. "Jeder hat nichts gehabt", sagt Christa. "Aber wir haben uns gehabt."
"Die Wagen waren ein Behelf", sagt Böhlau. Die Sinti lebten darin nicht etwa, weil sie ein unstetes Volk wären, so das Vorurteil - sondern weil nach dem Krieg ihre Häuser entweder zerstört waren oder ihnen ihr Wohneigentum nicht zurückgegeben wurde. Sie hatten keine Rechte, sie wurden nur unzureichend entschädigt. Einzelne haben dagegen später mit Erfolg geklagt.
Christas Vorfahren lebten in Berlin, von dort wurden sie vertrieben, sie wurde im hessischen Homberg geboren. Ihr Leben lang kämpfte sie mit den Vorurteilen. "Zigeuner haben Läuse", war eines davon. Sinti und Roma stünden "ganz unten" auf der Leiter, auf ihnen werde alle Diskriminierung abgeladen. "Ich habe mich gewehrt", sagt Christa. "Irgendwann hört man einfach nicht mehr hin."
Sie heiratete und zog fünf Kinder groß. In den 90er-Jahren fand sie Arbeit als Hilfskraft in der Münchner Stadtbibliothek, ihre Kollegen schätzten sie, ihr Zeugnis war sehr gut. Immer wieder wurde ihr Vertrag verlängert. Als die Verantwortlichen mitbekamen, dass sie Sintezza ist, musste sie gehen. So erzählt es Christa im Buch. Der aktuelle Stadtbibliotheks-Direktor Arne Ackermann antwortete darauf: Allein der Verdacht, hier sei aus rassistischen Motiven gehandelt worden, wiege schwer und "ist in keinster Weise mit dem Selbstverständnis unserer Einrichtung vereinbar".
"Vielleicht, weil sie dieses Angenommensein, das ihnen die Welt nicht gibt, im Glauben, besonders spüren"
Laut Alexander Diepold, Geschäftsführer der Münchner Jugendhilfeeinrichtung Madhouse, leben in München schätzungsweise 10.000 Sinti, zumeist Deutsche. Vor Hitlers Machtergreifung waren sie in das gesellschaftliche Leben der Stadt integriert. Die Sinti sind in West- und Mitteleuropa beheimatet, die Roma gewöhnlich in Ost- und Südosteuropa. Wegen des starken Zuzugs bulgarischer und rumänischer Arbeiter schätzt Diepold, dass inzwischen etwa 7.500 osteuropäische Roma in München leben.
Bei Madhouse ist eine Familien-, Ehe- und Erziehungsberatungsstelle für Sinti und Roma angesiedelt, in der viele Menschen Rat suchen. Diepold bestätigt: "Bei nahezu allen, die wir betreuen, liegt eine tiefe Gläubigkeit und Frömmigkeit vor." Warum? "Vielleicht, weil sie dieses Angenommensein, das ihnen die Welt nicht gibt, im Glauben, besonders spüren", sagt Böhlau. Auch Maria spielt für viele, gerade für die Frauen, eine herausragende Rolle: "Sie ist die Mutter", sagt Christa. "Sie ist die Ansprechpartnerin. Sie hat auch gelitten." Christa hat eine Muttergottes zuhause stehen, wie ihre Großmutter. Sonntags besucht Christa den Gottesdienst, sie war auch schon bei Papst Franziskus auf einer Audienz.
Der Kirche "habe ich vergeben", sagt Christa. Und ihr Herz schlägt nicht nur katholisch: "Es gibt nur einen Gott", sagt sie. Einige von ihren 14 Enkeln und 21 Urenkeln sind evangelisch. Überhaupt: Um die Familie kreist ihr ganzes Leben. Christa liebt Kinder: "Wir müssen die Kinder gut behandeln."