Ganz vorsichtig legt Anja Isensee ein etwa zehn Mal zehn Zentimeter großes, hauchdünnes Stück Blattgold auf einen Christuskopf. Dabei trägt sie Handschuhe aus Kunststoff, sonst würde das Edelmetall, das nur ein Zehntausendstel Millimeter dünn ist, an ihren Händen kleben bleiben. Noch ein Stück und noch ein weiteres Stück – bis die Skulptur aus Gussmetall vollständig hinter dem Gold verschwindet. Mit einem Pinsel streicht sie nun solange über den Christuskopf, bis das Blattgold in jedem Winkel haftet. Damit das gelingt, hat sie einige Stunden zuvor eine Leinölschicht aufgetragen. Anja Isensee aus Berlin ist Vergolderin und Fassmalerin.
Und sie zählt zu den wenigen in Deutschland, die dieses jahrhundertealte Handwerk noch professionell beherrschen. Vor allem das „Fassmalen“ sei ganz selten geworden, sagt die 44-Jährige. Diese Bezeichnung der Malerei kommt von dem mitteldeutschen Wort „fassen“, das einst die farbliche Gestaltung von Bildern, Reliefs oder Skulpturen beschrieb. Zum Beispiel wurden im Mittelalter Kirchenfiguren gefasst.
Ein gutes Auge und höchste Konzentration
Und so ist Anja Isensee bisweilen in Kirchen unterwegs, um Skulpturen, Altäre, Kerzenständer, Bilderrahmen oder die Zeiger einer Kirchturmuhr zu fassen oder zu vergolden. Vor einigen Jahren bemalte sie etwa die Krippenfiguren in der katholischen St. Bernhard Kirchengemeinde in Berlin-Dahlem. Die rund zwei Meter großen, von einem Münchner Bildhauer aus Lindenholz geschnitzten Skulpturen stammen aus den 1930er Jahren. Sie waren verschmutzt und hatten aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges noch Brandspuren.
„Ich habe sie zuerst gereinigt, dann Risse mit Kreidegrund verschlossen und anschließend mit Ölfarbe gefasst“, erklärt sie. Zuletzt seien die Figuren noch mit einer Wachsschicht bestrichen worden. Die Arbeit an solchen Heiligenfiguren ist für Anja Isensee, die evangelische Christin ist, durchaus eindrücklich. Gleichwohl versucht sie einen professionellen Abstand zu bewahren - etwa, wenn sie die gefalteten Hände Josefs oder das Gesicht Marias bemalt. Ein gutes Auge, eine ruhige Hand und höchste Konzentration seien hier gefragt.
Zu ihren bedeutendsten kirchlichen Arbeiten bislang zählt die Vergoldung von zwei mittelalterlichen Metalltoren aus dem Lettner im evangelischen Magdeburger Dom. Dies war auch für sie persönlich bewegend. Denn Magdeburg ist ihre Heimatstadt. Anja Isensee ist in Altenburg in Thüringen geboren und in Magdeburg aufgewachsen. Schon früh habe sie sich gewünscht, etwas Künstlerisches zu machen, mit ihren Händen zu arbeiten; am liebsten zu malen. Anstatt zu studieren, lernte sie deshalb nach dem Abitur den Beruf der Vergolderin und Fassmalerin. Ihr Ausbildungsbetrieb war eine Restaurierungswerkstatt in Plauen.
Nach Berlin zog es sie vor allem aus familiären Gründen. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder. Zunächst arbeitete Anja Isensee als freiberufliche Vergolderin auf Honorarbasis in verschiedenen Betrieben.
Die Kunst braucht das menschlich Unperfekte
Beim Vergolden beispielsweise gibt es zwei Techniken: die Ölvergoldung auf eher starrem Untergrund wie Metall sowie die aufwendige Polimentvergoldung auf Stuck oder Holz, die bereits in der Antike verwendet wurde. Bei dieser Technik wird Schicht um Schicht – zuerst Leim, danach mehrmals Kreide und zuletzt Tonerde – dünn aufgetragen. Weil sich die Schichten miteinander verbinden, entsteht ein weiches Polster für das Blattgold. Es braucht etwa 30 Arbeitsgänge, bis eine solche Vergolderarbeit fertig ist. Und damit das Gold eine gewisse Wucht bekommt, wie es fachlich heißt, also am Ende schön glänzt, wird es zum Schluss poliert.
Anja Isensee verwendet dafür einen Achatstein, denn der habe genau die richtige Festigkeit. „Ich poliere im Grunde nicht das Gold, sondern verdichte den Untergrund, in dem ich das Edelmetall an ihn drücke“, sagt sie. Nur so entstehe später der kräftige Glanz. Doch nicht immer sei das gewollt. Etwa bei der Ölvergoldung auf starrem Untergrund bleibe das Gold bewusst matt. Diese Technik hat sie zum Beispiel bei dem Christuskopf, bei Engelsflügeln und der Inschrift für einen Grabstein und bei den goldenen Portalen aus dem Magdeburger Dom angewandt. Und ihre Arbeit beschränkt sich in diesem Fall nicht nur auf Gold. Sie bringt alle Arten von Blattmetallen auf; etwa Aluminium, Silber oder Kupfer.
Das Glänzen wird zu Licht
Dass in Kirchen oftmals Vergoldungen zu finden sind, mag nicht jedem gefallen, weil es häufig mit Prunk und Reichtum in Verbindung gebracht wird. „Für mich jedoch drückt das Glänzende auch etwas Überirdisches und Positives aus - wie ein strahlendes Licht“, schildert Anja Isensee. Und auf diese Weise könne die christliche Botschaft bildlich transportiert werden. Dabei erinnert sie sich an einen privaten Auftrag einer Kundin, deren Ehemann im Sterben lag.
Diese Frau habe bei ihr den Heiligenschein einer Ikone vergolden lassen - die Lieblingsikone ihres schwerkranken, gläubigen Mannes. „Einige Zeit später kam sie extra noch einmal zu mir in die Werkstatt und bedankte sich“, erzählt die Vergolderin. Die Frau habe die Ikone an das Pflegebett ihres Mannes gestellt: seine Freude und sein Strahlen in den müden Augen habe ihr Trost gespendet.