"Die Würde des Menschen ist unantastbar" am Oberlandesgericht Frankfurt am Main.
© epd-bild / Jochen Günther
Der Auszug aus dem ersten Artikel des Grundgesetzes hängt als großer Schriftzug am Oberlandesgericht in Frankfurt am Main. Die meisten Grundrechte aus dem Grundgesetz sind Menschenrechte.
"Religionen führen keine Kriege"
Heute vor 70 Jahren wurde die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" verkündet: "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren", heißt es darin. Die Religions- und Weltanschauungsfreiheit spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle.

"Ich bin Christin und ich glaube an einen Gott, und jeder sollte die Freiheit haben, an den Gott zu glauben, an den er glauben möchte. Ich verstehe nicht, warum Menschen die Religion nutzen, um Böses zu tun", schrieb die pakistanische Christin Asia Bibi im Gefängnis. Sie wurde 2010 wegen Blasphemie zum Tode verurteilt und acht Jahre später dann doch freigesprochen. Islamistische Demonstranten legten daraufhin das Land drei Tage lang mit Randalen, Plünderungen und Blockaden lahm.

Für Millionen Menschen aller Religionen weltweit ist "Religionsfreiheit" nur ein Wort. Vielleicht träumen sie manchmal heimlich, still und leise davon, wie es wohl wäre, seinen Glauben und seine Weltanschauung frei und selbstbestimmt zu leben. Dabei ist Religions- und Weltanschauungsfreiheit nicht nur ein schöner Traum, sondern auch ein Recht. In der heute vor 70 Jahren verabschiedeten "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" wird diese Freiheit in der Präambel und in Artikel 18 explizit angesprochen – ohne sich dabei auf eine spezifisch religiöse Legitimation zu berufen.

In der Vision von einer besseren Welt, in der alle Menschen die gleiche Würde und die gleiche Freiheit besitzen, die die Menschen am 10. Dezember 1948 in Paris zusammengeführt hat, spielte Religionsfreiheit eine entscheidende Rolle. "Und damit ist mehr gemeint als nur religiöse Toleranz", betont Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte auf der Podiumsdiskussion "70 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte – Religionsfreiheit im Fokus" des Beauftragten der Bundesregierung für Religionsfreiheit, Markus Grübel. Denn Toleranz sei immer aus Machtverhältnissen heraus gedacht. "Bei der Religionsfreiheit im Rahmen der Menschenrechte geht es um eine Umwandlung von Toleranz in Respekt. Respekt vor dem Recht des anderen, das zu glauben oder auch nicht zu glauben, was er oder sie für richtig hält", so Rudolf. In dieser Überzeugung spiegele sich auch der komplette Kern der Menschenrechtserklärung wieder: Jeder Mensch hat das Recht und die Freiheit darauf, sein Leben selbstbestimmt zu gestalten.

Verlustängste in der Gesellschaft

Weil die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" nicht unmittelbar rechtsverbindlich ist, wurde dieser Aspekt im Jahr 1966 im "Internationalen Pakt über bürgerlich-politische Rechte (IPbpR, auch Zivilpakt)" festgehalten. Und der wurde von 169 der 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen ratifiziert und ist somit rechtsverbindlich. Eigentlich sollte die Religionsfreiheit also in 169 Staaten für alle Menschen gesichert sein. Aber auch nur eigentlich. Gemäß einer Studie des amerikanischen Meinungsforschungsinstituts Pew Research Center werden 24 Prozent der Menschen aufgrund ihrer religiösen Überzeugungen von staatlichen Akteuren auf einem hohen oder sehr hohen Level benachteiligt, unter sozialer Ausgrenzung und Benachteiligung leiden 23 Prozent der Gläubigen. Untersucht wurden weltweit 198 Länder.

Nurhan Soykan, die stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, betrachtet diese Entwicklung mit großer Besorgnis. "Die Verlustängste in der Gesellschaft", so ihre Theorie, "führen dazu, dass Religionsfreiheit, Barmherzigkeit und Nächstenliebe in den Hintergrund treten." Eine Verrohung sei die Folge, was den Teufelskreis immer weiter und schneller dreht.

Einen wichtigen Punkt, über den sich eigentlich alle klar sind, der aber gerne vergessen, bringt die Wissenschaftlerin Alina Gromova ein: "Religionen führen keine Kriege. Kulturen auch nicht. Die Bezeichnung ist irreführend, weil es immer Gruppen sind, die die Religion oder Kultur instrumentalisieren und missbrauchen." Und genauso seien es dann religiöse Gruppen, die andere Menschen überraschen, wenn sie nicht nur an sich denken, sondern die Bedürfnisse, Probleme oder Herausforderungen anderer Gruppierungen in den Vordergrund stellen und für sie Fürsprache halten.

Probleme im Bereich der Religions- und Weltanschauungsfreiheit benennen und analysieren könne man gut, sagt auch Volker Kauder. "Auf die wirklich wichtigen und schwierigen Fragen haben wir aber noch keine Antworten gefunden. Denn die lauten: Was können wir dagegen tun? Und wie mutig sind wir dabei?" Die berühmte Forderung des ehemaligen koptischen Papstes Schenuda III. - "Beten Sie für uns" – reiche nicht aus. Von der Holzhammermethode – Entwicklungshilfe streichen und Kommunikation einstellen – hält der ehemalige Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion aber auch nichts. Seine Reisen hätten ihm gezeigt, dass es immer wichtig sei zu reden und dass eine Streichung der Gelder mit der Begründung, der Staat unterdrücke religiöse Minderheiten, am Ende eigentlich immer schlecht für die Minderheit ausgegangen sei. Stattdessen müsse man im ersten Schritt auch über niedrigschwellige Angebote nachdenken, die die Situation für die Menschen vor Ort verbessere. "In der deutschen Botschaft in Saudi-Arabien dürfen sich die Kopten zum Beispiel sonntags zum Stammtisch treffen. So haben sie einen sicheren Ort für das, was sie da halt tun möchten", erzählt er. Gottesdienst dürfe man es aber um Himmels Willen nicht nennen.

Heiner Bielefeldt über Europas Bemühungen für die Menschenrechte und über Vorurteile und Islamfeindlichkeit in Deutschland.

Auch der ehemalige Sondergesandte der Vereinten Nationen für Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Heiner Bielefeldt, ist der Ansicht, dass es mit "business as usual" nicht mehr weitergeht. Man müsse aber auch nicht das Rad neu erfinden, sondern nur die Instrumente nutzen, die man bereits zur Verfügung hat. "Seit 2013 gibt es EU-Leitlinien zur Religionsfreiheit. Die könnte man ja mit Leben füllen", schlägt er leicht sarkastisch vor. Es gebe mittlerweile im EU-Parlament eine überparteiliche Gruppe, die sich dem Thema angenommen habe. Es brauche auf allen Ebenen "breite Bündnisse und koordinierte Aktivitäten".  Das sei auch im Interesse der Religionsgemeinschaften, da es ihre eigene Glaubwürdigkeit stärke.

Für die Rechtsanwältin, Frauenrechtlerin und Initiatorin der liberalen Berliner Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, Seyran Ate?, steht eines fest: "Ohne die Verständigung der Religionen wird es keinen Frieden auf der Welt geben." Die geläufige Bezeichnung der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" als "westlich" stellt, Ate? Ansicht nach, einen großen Fehler dar. Auch wenn entscheidende Impulse für die Erklärung aus den USA sowie anderen westlichen Staaten kamen, haben auch asiatische, afrikanische und lateinamerikanische Staaten großen Anteil an ihrer Abfassung. Das Etikett "westlich" untergrabe die Universalität der Erklärung, was durch die "Kairoer Erklärung der Menschrechte (KEM)" noch verschärft worden sei.

Keine Menschenrechte zweiter Klasse

Im August 1990 unterzeichneten die 45 Außenminister der "Organisation Islamischer Staaten" die KEM – ein Dokument, das zwar keine völkerrechtliche Verbindlichkeit hat, aber durchaus als einflussreiche konzeptionelle Leitlinie für die Gesetzgebung der einzelnen Mitgliedsstaaten verstanden werden kann. In der KEM wird eine religiöse Gemeinschaft (die des Islam) als "beste Nation" hervorgehoben und die Ausbreitung dieses Glaubens als Lösung der Probleme beschrieben. Damit werden bereits in der Präambel die Weichen für eine Bevorzugung von Muslimen und die Diskriminierung von Nichtmuslimen in verschiedenen Bereichen von Staat und Gesellschaft gestellt.

Außerdem sind die Würde und das Recht des Einzelnen von vorne herein an die Einhaltung der Scharia geknüpft. "Wenn eine Religion sagt, dass die Universalität der Menschenrechte nur bis zur Grenze der Scharia gilt, dann stellen sie Gottes Gesetz über weltliche Gesetze", hält Seyran Ate? fest. Menschenrechte seien jedoch universell, nicht gegeneinander ausspielbar und es gäbe kein Menschenrecht zweiter Klasse.

Am Ende ist es Markus Grübel, der das Augenmerk auch auf das positive Potenzial der Religionen lenkt. Er erinnert daran, dass nach dem antisemitischen Anschlag auf die "Tree of Life"-Synagoge in Pittsburgh zwei muslimische Nicht-Regierungs-Organisationen, CelebrateMercy und MPower Change – fast 200.000 US-Dollar an Spenden gesammelt haben. Und er erzählt von 30 Menschen in Mossul, die gemeinsam eine Moschee und eine Kirche gesäubert haben, damit dort wieder Gottesdienst gefeiert werden kann. "Bei 1,5 Millionen Menschen, die in der Stadt mittlerweile wieder leben, sind 30 zwar nicht viele. Aber sie sind ein Zeichen. Ein Zeichen dafür, dass es mehr Gutwillige als Fanatiker gibt", so Grübel.