Ich bin kein Theologe – nur ein glaubender Mensch. Ja, ich glaube, dass Gott sich offenbart. Und ich bin überzeugt davon, dass dies in einer Art und Weise geschieht, die nicht analytisch zu definieren ist. Dies wenigstens verbindet mich als neugierigen Leser mit dem großen Karl Barth.
Wie sich der an der Bonner Universität Lehrende rasch und deutlich nach dem Machtantritt Adolf Hitlers dem Nationalsozialismus widersetzte, in der Bekennenden Kirche mitwirkte, seine Professur verlor und in seine schweizerische Heimat umzog, darf nicht vergessen werden.
Seine theologischen, vor allem dogmatischen Schriften bleiben mir als neugierigem Laien fremd. Ja, ich teile seine Erkenntnis, dass Jesus Christus, wie er in den Evangelien und den Briefen des Paulus präsentiert wird, die Offenbarung Gottes ist. Ja, ich bin der Meinung, dass diese Menschwerdung Gottes nicht relativiert werden soll. Und ich stimme seiner Haltung zu, dass das Außergewöhnliche der christlichen Weltsicht darin bestehen muss, sich bescheiden und demütig, ja sündig, zu begreifen, wenn man im Glauben zuhause sein möchte.
Karl Barth hat dies in Form von Schelte und lautstarker Kritik an jene adressiert, die in ihrem politischen Tun stets darauf hinwiesen, im Geiste Jesu und Gott-Vaters unterwegs zu sein. Dass er selbst – partiell – dazu neigte, im Streit mit anderen klugen Köpfen, seine christliche Überlegenheit zur Schau zu stellen, hat er – Gott sei Dank – selbst mit fortschreitendem Alter erkannt und selbstironisch formuliert.
Was die Suchenden und Zweifelnden angeht, so meine ich, dass der offene Religions- und Gottesbegriff seines Altersgenossen Paul Tillich Frauen und Männern in der digitalen Gegenwart näher kommt. Es geht nicht darum, zu verhindern, dass Gott bequem in die Weltsicht der Zeitgenossen eingebaut wird. Es geht im Sinne Jesu, wie es Paul Tillich formuliert darum, Gott als die "Wahrheit" anzusehen, die Menschen nicht besitzen, sondern nur bitten und beten können ihr möglichst nahe zu kommen. Ich bin mir übrigens sicher, dass Karl Barth diese Sicht heute teilen würde, wäre er unser Zeitgenosse.
Am nächsten gekommen bin ich Karl Barth in dem kleinen Büchlein "Späte Freundschaft in Briefen". Auf knapp 100 Seiten wird dort ein Briefwechsel zwischen Karl Barth und Carl Zuckmayer zwischen Mai 1967 und Barths Tod im Dezember 1968 dokumentiert. Barth hatte Zuckmayers im Oktober 1966 erschienene Erinnerungen gelesen. "Jemand hat mir ihr Buch "Als wär’s ein Stück von mir" geschenkt. Ich habe es in einem Zug gelesen", schrieb Karl Barth dem Autor, der es kaum glauben konnte, dass dieser bedeutende Mensch ihm handschriftlich Lob und Dank schenkte.
Zuckmayer, der vor den Nazis in die USA geflohen, Ende der 50er-Jahre aber nach Saas-Fee im Schweizer Kanton Wallis gezogen ist, antwortet postwendend und die beiden beschließen, sich möglichst bald persönlich kennen zu lernen. Und das tun sie auch.
Zuckmayer und Frau besuchen Barth und Gemahlin in Basel. Und diese kommen ins Zuckmayer-Haus. Sie sprechen über Christentum, Musik, Liebe und Wein (den sie wohl auch gerne und reichlich konsumieren). Zum Thema Musik schreibt Zuckmayer: "Hier entwickelte er (Barth) eine gewisse Unduldsamkeit, fast Einseitigkeit. Mozart, über den kaum ein Anderer,…,Schöneres geschrieben hat als er, war für ihn absoluter Gipfel erreichbarer Seligkeit, … . Er hat öfter gesagt, auch geschrieben, dass er glaube, die Engel, wenn sie Freizeit vom Alleluja hätten und zu ihrem Vergnügen musizierten, würden nur Mozart singen (den er auch dem Papst, humoristisch, zur Seligsprechung empfahl."
Ob Karl B. mit Carl Z. auch über "Lollo" sprach, ist in dem Buch nicht belegt. Lollo ist der Kosenamen von Barths persönlicher Referentin Charlotte von Kirschbaum. Mit ihr und seiner Frau Nelly lebte Barth fast vierzig Jahre eine Ehe zu dritt unter einem Dach mit seinen Kindern. Und schlussendlich wurden Karl, Nelly und Lollo mit Zustimmung der Barth-Kinder in einem Grab bestattet. Freunde, Familie und auch das "Dreieck" selbst, wie sie es nannten, muss die Lebensform emotional belastet haben. Aber der große Meister der Dogmatik wollte es so.
Für Zuckmayer wär die Story, hätte er sie ein paar Jahre früher erfahren, vielleicht Stoff für ein spannendes Theaterstück geworden. Titel-Vorschlag "Barth-Pflege in Dreifaltigkeit". Nun bleibt mir nur in aller Einfalt Karl Barth für seine Lobrede auf Carl Zuckmayer zu danken. In einem Brief aus dem August 1967 heißt es unter anderem: "Die Alle und Alles unaufdringlich, aber unübersehbar umgebende Güte Gottes regiert und charakterisiert bei Ihnen auch die trivialsten, bizarrsten, ja tollsten Szenen und Situationen. Und mit das Beste ist, dass Sie es offenbar selbst kaum bemerken, wie sehr Sie in Ihrer, wie man sagt, rein "weltlichen" Schriftstellerei faktisch ein priesterliches Amt … ausüben. ; in einem Ausmaß, wie das unter den berufsmäßigen Priestern, Predigern, Theologen usw. katholischer oder evangelischer Konfession wohl nur von wenigen gesagt werden kann." Ein völlig gerechtes Lob für den Autor von "Des Teufels General" aus der Feder des "Genossen Gottes", wie Freunde und Spötter den Sozialdemokraten Karl Barth gerne nannten.