Hervé Cachelin ist ein bescheidener Mensch. Deshalb ist es schwer, dem 61-Jährigen etwas über seinen berühmten Ururgroßvater zu entlocken. Immerhin, auf die Frage, wann ihm denn zum ersten Mal klargeworden sei, wer sein Ururgroßvater gewesen sei, erzählt er in knappen Worten vom 2. Juli 1965: Damals war Cachelin als Achtjähriger zusammen mit seinen Eltern und seinen Geschwistern dabei, als in der Westminster Abbey in London eine Marmorbüste von William Booth (1829 - 1912) enthüllt wurde - zum 100-jährigen Gründungsjubiläum der Heilsarmee.
Die Heilsarmee ist in 131 Ländern
Es war der englische Methodist William Booth, der 1865 zusammen mit seiner Frau Catherine eine christliche Bewegung ins Leben rief, die die Lebensbedingungen der Armen verbessern wollte. Er gründete Suppenküchen und Obdachlosenheime. Was zunächst ganz klein als "Christliche Erweckungsgesellschaft" im bitterarmen Londoner East End anfing, ist heute eine weltweit operierende Organisation und evangelische Freikirche: Die Heilsarmee ist in 131 Ländern vertreten und hat nach eigenen Angaben 1,7 Millionen Mitglieder.
"The Salvation Army", wie sie auf Englisch heißt, unterhält weltweit ein riesiges Netz an sozialen Einrichtungen, darunter 235 Kinderheime, 940 Kindergärten, 460 Obdachlosenheime, 180 Alten- und Pflegeheime, 1.400 Suppenküchen und Schulen für 620.000 Kinder und Jugendliche. Zudem beschäftigt sie in ihren Krankenhäusern annähernd 4.000 Ärzte und Pflegekräfte. Cachelin ist einer von rund 28.000 ordinierten hauptamtlichen Offizieren, die die Heilsarmee - ganz wie William Booth - zu ihrem Lebensmittelpunkt gemacht haben.
Zurzeit ist Cachelin zusammen mit seiner Frau Deborah in Deutschland tätig, wo er seit 2017 die Funktion des Verwaltungschefs des Heilsarmee-Territoriums Deutschland, Litauen und Polen mit Sitz in Köln wahrnimmt. Dabei ist Cachelin nicht der erste Nachfahre von Booth, der für die Heilsarmee in Deutschland tätig ist: Hervés Großtante Mary Booth, eine Enkelin von William Booth, war von 1925 bis 1929 für die Heilsarmee in Deutschland aktiv. Und Hervés Mutter Genevieve Cachelin, eine Urenkelin des Gründers, leitete die deutsche Heilsarmee gemeinsam mit ihrem Mann von 1979 bis 1984.
Allerdings, sagt Hervé, sei es nicht außergewöhnlich, dass Kinder von Heilsarmeeoffizieren sich ebenfalls für ein Leben in der Kirche entschieden: "Von uns vier Geschwistern sind tatsächlich drei Heilsarmeeoffiziere geworden." Cachelin selbst hat einen schweizerischen und einen britischen Pass, wurde in Brüssel geboren, ging in Paris zur Grundschule und blieb dann bis zum Ende seines Pädagogikstudiums in Bern. "Ich empfand das, was andere vielleicht als Entwurzelung beurteilen würden, als Abenteuer und spannende Herausforderung." Schon als Jugendlicher war ihm klar, dass er nichts anderes machen wollte, als in der Heilsarmee zu bleiben. Seine eigenen drei Kinder sind zwar in der Kirche aktiv, aber keine Offiziere.
Das Leben als Abenteuer und spannende Herausforderung
Deutschland ist aus Sicht der Heilsarmee ein bisschen so etwas wie ein Entwicklungsland: "Von den Ländern, in denen meine Frau und ich bislang tätig waren, ist die Heilsarmee in Deutschland in der Bevölkerung am wenigsten bekannt." Sie werde hier vor allem als Hilfsorganisation, etwa bei Katastropheneinsätzen, oder als Träger sozialer Einrichtungen gesehen, "aber erst in zweiter Linie als Kirche". Das habe sicherlich damit zu tun, dass die Heilsarmee durch die Nationalsozialisten und später den Eisernen Vorhang stark eingeschränkt worden sei, sagt Cachelin. Vor dem Zweiten Weltkrieg sei sie dagegen sehr populär gewesen: "Allein in Berlin gab es 20 Gemeinden. Ohne den Krieg wäre Deutschland heute vielleicht eines der mitgliederstärksten Territorien."
Dass sich das heute noch einmal entscheidend ändert, glaubt Cachelin nicht: "Wir müssen realistisch sein: Wir leben in einer Zeit, in der die Menschen sehr offen und neugierig sind, aber nicht unbedingt auf organisierte Kirche." Mit 1.300 Mitgliedern sei die Heilsarmee in Deutschland zahlenmäßig nicht groß: "Aber sie ist weit über ihre Größe hinaus bekannt. Schließlich möchten wir überall dort sein, wo Not herrscht."