Es herrsche ein Dauerton der populistischen und medialen Empörung, kritisiert Lilie. Die Empörungslust grassiere in allen politischen Lagern, nicht nur bei Rechtspopulisten. Aber es werde nicht miteinander, sondern übereinander geredet. Diskussionen um "Hetzjagden", vermeintliche Trauermärsche, politisches Hick-Hack um Videos - all das führe nicht weiter.
Millionen Menschen fühlten sich abgehängt, unverstanden und ungehört, stellt Lilie fest, der dabei selbstkritisch auch die privilegierten Gruppen in den Blick nimmt. Obwohl sich die urbanen Eliten für weltoffen und tolerant hielten, bewegten sie sich kaum aus ihrem Milieu hinaus. Das gelte häufig auch für kirchliche Milieus, räumt der Diakonie-Präsident ein.
Ausgehend von eigenen Erfahrungen liefert er Beispiele dafür, soziale Grenzen zu überwinden. Er plädiert dafür, AfD-Anhängern genauso zuzuhören wie verarmten Rentnern, Flüchtlingen oder Supermarkt-Kassiererinnen. Gegen Rassismus und Menschenverachtung grenzt sich Lilie klar ab - angesichts des Zulaufs zu rechtsradikalen Demonstrationen in Chemnitz und anderswo eine unerlässliche Klarstellung.
Das Buch des Diakonie-Chefs kann auch verstanden werden als Werbung für die Kampagne unter dem Schlagwort "Unerhört!", mit der der zweitgrößte deutsche Wohlfahrtsverband die Aufmerksamkeit auf gesellschaftliche Randgruppen lenken will, die häufig die Hilfsangebote der Diakonie-Einrichtungen in Anspruch nehmen. Lilie ist überzeugt: "Das Leben einer Gesellschaft gewinnt an Qualität, wenn Zuhören die Basis bildet."
Ulrich Lilie (61) ist seit 2014 Präsident der Diakonie und derzeit Vorstandsvorsitzender des Evangelischen Werkes für Diakonie und Entwicklung, das von Diakonie Deutschland, "Brot für die Welt" und Diakonie Katastrophenhilfe gebildet wird. Vorher arbeitete der evangelische Theologe als Vorstand der Graf Recke Stiftung in Düsseldorf, als Pfarrer und Krankenhausseelsorger.