"Bei einigen neuen Finanztechnologien - sogenannten Fintechs - sehe ich genau die Mechanismen, die uns in die Finanzkrise geführt haben", sagte der Vorstandsvorsitzende der Bank für Kirche und Diakonie (KD-Bank) dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Online-Casinos und Online-Wettbüros sind unreguliert
Es gebe eine Trennung von Risiko und Haftung, hohe Transaktionsgeschwindigkeiten beim sogenannten Daytrading und eine maximale "Hebelung von Risiken", warnte Thiesler. "Finanzgeschäfte werden als Spiel verkauft. Das ist nicht gut." Sehr problematisch nannte der Experte die Entwicklungen am grauen Kapitalmarkt und bei global agierenden Hedgefonds. "Und wenn ich das ungebremste und nach meiner Auffassung ebenfalls nicht ausreichend regulierte Wachstum der Online-Casinos und Online-Wettbüros sehe, frage ich mich: Wohin führt uns das?"
Gier hat vernünftige Risikoabwägung verdrängt
Die Finanzkrise 2008 habe deutlich gemacht, wie gefährlich der Mangel an Werten und ethischer Verantwortung für das gesamte Wirtschafts- und Gesellschaftssystem werden könne, warnte der promovierte Wirtschaftswissenschaftler. "Es hätte wohl alles nicht zu solch desaströsen Auswirkungen geführt, wenn nicht eine grenzenlose Gier nach immer höherer Verzinsung nach der Maxime 'möglichst schnell, möglichst viel' bei vielen eine vernünftige Risikoabwägung verdrängt hätte."
"Gier frisst Hirn!"
In seiner Ausbildung habe ihm ein älterer Banker gesagt: "Gier frisst Hirn!" Diesen Satz habe er erst glauben können, als vor zehn Jahren die ersten Berichte über die Hintergründe der Finanzkrise und die Konstruktionen der damaligen Finanzinstrumente erschienen. Mit dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers am 15. September 2008 wuchs sich die US-Finanzkrise zu einer weltweiten Wirtschaftskrise aus, deren Folgen bis heute spürbar sind. Der Handel mit faulen Krediten hatte eine riesige Immobilienblase platzen lassen.
Aktuell sieht Thiesler die Bankenbranche in einem Umbruch, der durch die Niedrigzinsphase beschleunigt werde. Er sei überzeugt, "dass nur die Banken überleben werden, die ein klares Geschäftsmodell haben, ihre Kosten im Griff haben und ihre Dienstleistungen auf eine klar definierte Zielgruppe zuschneiden".
Die KD-Bank war nach Thieslers Worten nicht direkt von der Finanzkrise betroffen. "Die problematischen Produkte wurden uns zwar auch angeboten, wir hatten sie aber nicht im eigenen Bestand und haben sie auch nicht an unsere Kunden vermittelt", betonte er. "Wir haben schon damals mit unserem Nachhaltigkeitsfilter gearbeitet, diese Grundhaltung hat uns vor den Versuchungen bewahrt."
Die 1925 als erste evangelische Kirchenbank in Deutschland gegründete KD-Bank gehört mit rund 4.000 Mitgliedern und einer Bilanzsumme von fast sechs Milliarden Euro zu den 20 größten deutschen Genossenschaftsbanken. Sie betreut rund 7.000 Einrichtungen in Kirche und Diakonie sowie mehr als 30.000 Privatkunden. "Ein wichtiger Unterschied zu fast allen anderen Banken und Sparkassen ist, dass unsere Mitarbeitenden keine Absatzziele haben und keine Provisionen für den Vertrieb von Produkten erhalten", sagte Thiesler. "Dadurch können sie fair und ehrlich beraten."