Der Europäische Gerichtshof (EuGH) trifft am Dienstag, 11. September, eine Grundsatzentscheidung zum kirchlichen Arbeitsrecht. Anlass ist der Fall eines katholischen Chefarztes, dem wegen seiner zweiten Ehe gekündigt wurde.
Worum geht es?
Im Zentrum steht ein Mediziner, der seit dem Jahr 2000 als Chefarzt der Inneren Medizin an einer Düsseldorfer Klinik arbeitet. 2005 ließ sich der Mann von seiner ihm katholisch angetrauten Frau scheiden. Als er 2008 seine neue Partnerin standesamtlich heiratete, erhielt er die Kündigung. Dagegen klagte der Arzt. Während des bald zehn Jahre dauernden Rechtsstreits ist er nach Angaben seines Anwalts an dem Krankenhaus in derselben Position weiter beschäftigt.
Wie begründete die Klinik die Kündigung?
Der Einstellung des Mediziners beruhte nicht allein auf dem Arbeitsvertrag. Vielmehr wurde auch die sogenannte Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse zugrundegelegt, wie aus den Darstellungen der befassten Gerichte hervorgeht. Das Krankenhaus unterliegt der Aufsicht des Erzbistums Köln. Mit Blick auf die Grundordnung argumentierte die Kirchen-Seite, dass der Arzt durch die zweite Heirat seine Loyalitätspflichten aus dem Arbeitsverhältnis erheblich verletzt habe. Denn die Wiederverheiratung bedeute nach katholischem Kirchenrecht eine ungültige Ehe.
Wie verlief der Rechtsstreit bisher?
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht in Düsseldorf sowie das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt urteilten zugunsten des Mannes. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hob 2014 allerdings das BAG-Urteil auf. Das höchste deutsche Gericht in Karlsruhe sah vor allem das im Grundgesetz garantierte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen zu wenig gewürdigt. Das BAG wandte sich daraufhin an den Europäischen Gerichtshof.
Worüber entscheidet der EuGH?
Der EuGH legt das einschlägige EU-Gesetz aus dem Jahr 2000 zur Gleichbehandlung im Beruf aus - im Lichte der Auslegung muss dann die deutsche Justiz den Fall entscheiden. Beim EU-Gesetz soll der EuGH vor allem eines klären: Dürfen kirchliche Arbeitgeber an leitende Angestellte wie etwa Chefärzte verschiedene Maßstäbe für loyales Verhalten anlegen, je nachdem, ob diese ihrer Kirche angehören oder nicht? Denn die zur Kündigung führende Anforderung, keine katholisch gesehen ungültige Ehe einzugehen, wurde laut BAG nur an katholische Arbeitnehmer gestellt. Das EU-Gesetz sieht ausdrücklich Ausnahmeregeln zugunsten der Kirchen vor - entschieden wird nun, wie weit diese reichen.
Wie wird der EuGH entscheiden?
Die Schlussanträge des EuGH-Generalanwaltes Melchior Wathelet vom 31. Mai schlugen zugunsten des Arztes aus. Den Schlussanträgen der Generalanwälte folgen die Richter am EuGH zwar oft, gebunden daran sind sie aber nicht. Der Tübinger Juraprofessor Hermann Reichold geht davon aus, dass die katholische Kirche "einen klaren Dämpfer" bekommen werde. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di erwartet, dass sich "die Toleranz der kirchlichen Arbeitgeber gegenüber ihren Beschäftigten" infolge des Urteils weiter verändern müsse und hält dies für gut: Der "Freibrief für Diskriminierungen aufgrund von Religionszugehörigkeit oder Lebenswandel", den die Kirchen genössen, sei "völlig antiquiert", erklärte Gewerkschaftssekretär Mario Gembus.
Was steht auf dem Spiel?
Die möglichen Auswirkungen des EuGH-Urteils betreffen nach Einschätzung von Juraprofessor Reichold das gesamte deutsche Staatskirchenrecht. Reichold befürchtet, dass die europäische Justiz das vom Grundgesetz geschützte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen dabei zwar punktuell, aber doch weitreichend in seinen Grundlagen erschüttern könnte - was letztlich sogar zu einem Konflikt zwischen EuGH und Bundesverfassungsgericht führen könne.
Hat der EuGH nicht erst vor Kurzem zum kirchlichen Arbeitsrecht geurteilt?
Am 17. April entschied der EuGH den sogenannten Egenberger-Fall. Es ging um eine konfessionslose Frau, die sich erfolglos auf eine Stelle beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung beworben hatte. Der EuGH urteilte, dass bei Stellenbesetzungen ein direkter Zusammenhang zwischen Konfession und Tätigkeit bestehen müsse und stärkte so Andersgläubigen und Konfessionslosen den Rücken gegenüber kirchlichen Arbeitgebern. Das daran anknüpfende Urteil der deutschen Justiz steht noch aus.