Gebärdensprache
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"Die gehörlosen Jugendlichen waren wie große Brüder für mich", sagt Roland Martin rückblickend. Durch sie lernte er fast wie nebenbei die Gebärdensprache.
Mit den Augen hören und den Händen predigen
Roland Martin ist Landesgehörlosenpfarrer
Hörgeschädigten Menschen eine Gemeinde und Gemeinschaft bieten - das ist die Aufgabe von Gehörlosenseelsorgern. Roland Martin, Landesgehörlosenpfarrer, ist für diese Aufgabe wie geboren.
19.09.2018
epd
Judith Kubitscheck

Der Theologe Roland Martin ist württembergischer Landesgehörlosenpfarrer und für dieses Amt quasi prädestiniert: Bis zu seinem 18. Lebensjahr wohnte er in Winnenden (Rems-Murr-Kreis) mitten in der damaligen Anstalt für Gehörlose, da seine Eltern dort im Internat die Hauseltern waren. Sein Vater war Berufschullehrer und baute das Berufsbildungswerk Paulinenpflege mit auf.

"Die gehörlosen Jugendlichen waren wie große Brüder für mich", sagt Roland Martin rückblickend. Durch sie lernte er fast wie nebenbei die Gebärdensprache. Oft saßen an Heiligabend zwei bis drei der Internatsschüler mit im Wohnzimmer der Familie. Heute ist er dankbar dafür, dass seine Eltern ihm und seinen Geschwistern diesen intensiven Kontakt zu den Internatsschülern "zugemutet" haben: "Dadurch bekamen wir eine ganz andere Einstellung zu Menschen mit Behinderung".

Bereits mit dem Start in den Pfarrberuf Anfang der 80er-Jahre war er nebenamtlich in der Gehörlosenseelsorge tätig. Dies änderte sich auch nicht, als er viele Jahre geschäftsführender Pfarrer an der Stuttgarter Markuskirche war.

Seit 2011 ist Martin Leiter des Landesgehörlosenpfarramts im Diakonischen Werk Württemberg und landeskirchlicher Beauftragter für Gehörlosenseelsorge in der württembergischen Landeskirche. Als Landesgehörlosenpfarrer betreut er die Stuttgarter Gemeinde, zu deren Gottesdiensten etwa 40 bis 60 Menschen kommen - ein ziemlich guter Gottesdienstbesuch, wenn man überlegt, dass statistisch gesehen nur etwa jeder Tausendste gehörlos ist.

Außerdem veranstaltet er Kirchentage für Gehörlose, an denen immer mehrere hundert Menschen - katholische, evangelische, freikirchliche Christen und sogar Zeugen Jehovas teilnehmen. Auch Reisen und Freizeiten, die das Landesgehörlosenpfarramt anbietet, sind sehr gefragt: Einerseits sind laut Martin Bildungsangebote für Gehörlose attraktiv, da es für sie oft schwierig ist, Informationen zu erhalten. Denn selbst die Suche im Internet funktioniere meist nach Sprachkategorien und nicht nach visuellen Aspekten.

Noch wichtiger aber sei, dass die Freizeiten "Gemeinde auf Zeit sind", erklärt Martin. Hier ist es den Gehörlosen möglich, jeden Tag geistliche Gemeinschaft zu erleben - etwas, was in ihrem Alltag so nicht angeboten wird.

Wunsch nach klaren Aussagen

Außerdem gibt der 64-Jährige die Zeitung der evangelischen Gehörlosen "Unsere Gemeinde" heraus und ist Ansprechpartner für die nebenamtlichen Gehörlosenseelsorger, die an insgesamt 20 Orten württembergweit Gottesdienste für Gehörlose anbieten. Beispielsweise hilft er ihnen bei den ersten Gehversuchen in der Gebärdensprache oder bespricht mit ihnen ihre Predigt.

Martin achtet darauf, dass die Predigten von Bildern leben und nicht zu wortlastig sind. Besonders die biblischen Begegnungsgeschichten, wie beispielweise die Geschichte von dem Zöllner Zachäus sprechen Gehörlose an, sagt er.

Bei Menschen mit Hörverlust nehme er zudem einen Wunsch nach klaren Aussagen wahr. Roland Martin bemüht sich dann vor allem darum, statt Moral das Evangelium stark zu machen: "Gott kennt dich, du bist geliebt, du bist wichtig bei Gott".

In der Regel kommen die Gehörlosengottesdienste ohne Orgelspiel und Gesang aus. Stattdessen kann es Gebärdenlieder oder Filmclips geben. Tatsächliche "Gehörlose" gibt es laut Martin immer weniger, da viele junge Menschen bereits seit dem Kindesalter ein Cochlea Implantat (CI) tragen, durch das sie Geräusche wahrnehmen und oft sogar Sprache verstehen können. Und doch rechnen sich viele CI-Träger eher den Gehörlosen statt den Hörenden zu, sagt der Theologe.

Viele Gehörlose treten zunehmend selbstbewusster auf, sie betrachten sich nicht mehr vorrangig als Behinderte, sondern durch ihre Verwendung der Gebärdensprache als Zugehörige zu einer sprachlichen Minderheit. "Ihnen fehlt nichts, sie haben aufgrund ihrer visuellen Orientierung aber manchmal eine andere Art von Denken und Logik", so Martin. In manchen Situationen seien sie sogar konzentrierter als Hörende: Gehörlose hätten beispielsweise beim Autofahren deutlich geringere Unfallzahlen als Hörende, da ihre Aufmerksamkeit höher ist.

In den letzten Jahren hat sich nach Meinung des Landesgehörlosenpfarrers für hörgeschädigte Menschen einiges zum Positiven verändert: Videochats vereinfachen die Kommunikation und auch beruflich hat sich einiges getan: "Früher gab es für Gehörlose einige typische Berufe wie Korbmacher; heute gibt es sogar gehörlose Ärzte und Psychologen".