Warum sollten sich junge Menschen heute, in der Zeit von virtuellen Netzwerken und social media, für Glocken interessieren?
Martin Kares: Glocken sind "heavy metal": Botschafter, die gehört werden sollen. Glockensignale sind wie Twitter-Botschaften, die über Jahrhunderte hinweg ohne Strom funktioniert haben. Jugendliche sind die Erben dieser uralten Tradition, die sich seit dem Mittelalter praktisch nicht verändert hat. Das betrifft auch die Herstellung von Glocken, die auch Jugendliche immer fasziniert, wenn sie dies miterleben können. Die Kampagne hat spielerische und kreative Aspekte – Glockenklänge mittels einer dafür erstellten Datenbank-App zum Klingen zu bringen und zusammenzustellen – trägt zur Identifikation und Orientierung bei (so klingt´s bei uns – wie klingt´s bei euch?) und hat auch einen Wettbewerbscharakter (wir sind dabei – ihr noch nicht?).
Wie kam es zu dem Projekt, wer hatte die Idee?
Kares: Die digitale Glockenklanglandkarte wurde vor 6 Jahren vom erzbischöflichen Orgelinspektor Johannes Wittekind in Freiburg entwickelt. Meine Idee war nun, dieses regionale Projekt ökumenisch und bundesweit auszudehnen Jugendgruppen einzubinden und junge Menschen zu Kulturerben zu machen. Dazu habe ich bei der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien in Berlin im Rahmen des Europäischen Kulturerbejahres einen Projektantrag gestellt.
Wen und was wollen Sie mit dem Projekt erreichen?
Kares: Jugendgruppen, die sich mit dem Erbe ihrer Heimat auseinandersetzen wollen. Kirchliche wie Konfirmanden oder Ministranten. Wir haben aber auch weltliche Gruppen wie Jugendfeuerwehren, die Nabu-Jugend, Pfadfindergruppen und Sportvereine kontaktiert. Manche von ihnen haben bereits Kontakt mit Kirchtürmen, etwa durch Feuerwehrübungen oder das Schaffen von Nistplätzen für bedrohte Vogelarten. Für Schulklassen oder Konfirmandengruppen bereiten wir spezielles didaktisches Material vor. Damit kann man Projekttage oder auch ein ganzes Themenjahr gestalten. Die Jugendlichen sollen eine klingende Landkarte erschaffen, weshalb die Kampagne ja auch "createsoundscape" heißt. Das Erbe "Glocken" wird neu positioniert, indem die Jugendliche Impulse für zeitgemäße Botschaften formulieren, welche mit dem Glockenklang übers Land gesandt werden.
Gibt es finanzielle Unterstützung – falls ja, wieviel und von wem?
Kares: Die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien gibt aus dem Etat des Europäischen Kulturerbejahres gut 160.000 Euro. Die Deutsche Bischofskonferenz, die EKD und die beiden Kirchen in Baden beteiligen sich mit weiteren finanziellen und personellen Ressourcen.
Die Kampagne läuft seit Anfang des Jahres. Gibt es schon Ergebnisse, besondere Aktionen von denen Sie wissen?
Kares: Die Kampagne wurde zwar vor einem halben Jahr gestartet, aber eigentlich legen wir erst im September richtig los, wenn die Mailings an die Zielgruppen, alle Materialien und Tutorials und die neu programmierte Datenbank fertig sind. Auch unser Mitarbeiterstab – wir haben zwei 50-Prozent-Stellen in Karlsruhe und Heidelberg für das Projekt zur Verfügung – ist jetzt vollständig. Es gibt aber bereits zahlreiche Rückmeldungen von Personen und Gruppen, die mitmachen wollen und die auch schon Material zugesandt haben.
Die Aktion setzt auf Online-Materialien und die Eigeninitiative der Gruppen. Haben Sie auch die Möglichkeit, persönlichen Input vor Ort zu geben?
Kares: Das geht nur in einzelnen Fällen, wenn etwa Multiplikatoren mit einer Infoveranstaltung erreicht werden können. Wir verweisen aber auf die Glockensachverständigen und Experten in den Landeskirchen und Diözesen. Die können auch bei speziellen Fragen sehr gut weiterhelfen.
Wie ist es um das Kulturgut Glocken und seine Pflege in Deutschland bestellt – müssen Sie Lobbyarbeit leisten?
Kares: Glocken sind selbstverständlicher Teil unserer Kultur, sodass "Lobbyarbeit" nicht nötig ist. Allerdings muss man die Kultur auch pflegen. Aus welchem Grund geläutet wird – vor allem unter der Woche, im Alltag – ist häufig nicht mehr bekannt. Die Broschüre "Hörst du nicht die Glocken? - Ein Leitfaden" wendet sich daher an Verantwortliche in den Gemeinden, versucht, die Läuteanlässe wieder bewusst zu machen und gibt Ideen, wie man sie jetzt und künftig mit Inhalt füllen kann. Das Läuten ist kein leeres Gebimmel, sondern der Ruf zum Gebet – so ist es gesetzlich geschützt. Das Heft verbreitet sich gerade in den Landeskirchen und Diözesen.
Ist eine Vernetzung der Glockenlandkarte mit andern online-Angeboten geplant – etwa der Kirchen-App oder dem Orgelprojekt "Königskinder"?
Kares: Das wäre absolut wünschenswert und technisch auch machbar. Unsere Datenbank lässt sich gut integrieren. Wir hatten auch schon den Wunsch, an die Kirchen-App anzudocken. Dort hat man aber leider entschieden, den ökumenischen Ansatz aufzugeben.
Das Projekt läuft bis Ende 2019. Was wollen Sie bis dahin erreichen?
Kares: Wir wollen mindestens 1500 Geläute auf der Karte dokumentiert haben – ein Ziel, das erreichbar sein dürfte. Wir möchten aber auch, dass die Förderung weitergeht und Einträge für die Gemeinden auch nach 2019 kostenlos bleiben. Das Projekt wurde zum Auftakt des Europäischen Jahrs des Kulturerbes in Mailand im Dezember 2017 vorgestellt und hat auch dort, auf europäischer Ebene, eine gute Resonanz gehabt. Die Betreiber der Seite "civilscape" aus Brüssel sind auf uns aufmerksam geworden. Ähnliche Projekte in anderen Ländern könnten auf der Basis unserer Software starten. Die dadurch zu erwartende Datenmenge kann von unserer derzeitigen Serverkapazität nicht bewältigt werden – aber Vernetzung und Austausch sind natürlich leicht möglich.