Die Klientel von Felix Löckle ist bunt gemischt: "Es kommen alle, von ganz jung bis ganz alt", sagt der Scheidungsanwalt mit Sitz in Hanau bei Frankfurt am Main. Allerdings stellt er - wie viele seiner Kollegen - seit einiger Zeit fest, dass immer mehr Senioren, "die Trennung unbedingt wollen". Kürzlich hat bei ihm ein 86-Jähriger die Scheidung eingereicht. "Weil seine neue Lebensgefährtin das wollte", sagt Löckle. Zuvor hatte der Mann einige Zeit von seiner Ehefrau getrennt gelebt.
Der Trend zu späten Scheidungen hält seit einigen Jahren an. Nach neuen Zahlen des Statistischen Bundesamtes, veröffentlicht diese Woche, endeten 2017 insgesamt 153.500 Ehen vor dem Scheidungsrichter. Das ist der niedrigste Stand seit 25 Jahren. Aber mehr als ein Sechstel der Scheidungen (17,5 Prozent) wurden nach 25 und mehr Ehejahren eingereicht. Der Anteil hat sich seit Anfang der 90er Jahre verdoppelt, damals waren es nur neun Prozent.
Wenn Senioren die Scheidung wollen
Die Frankfurter Professorin und Psychologin Insa Fooken beschäftigt sich seit langem mit dem Phänomen der "grauen Scheidungen", also der späten Trennungen. Für das Auseinandergehen nach Jahrzehnten gibt es nach ihrer Ansicht nach verschiedene Auslöser. Die Kinder sind aus dem Haus, die Partner verbringen ständig Zeit miteinander - und stellen fest, dass sie sich nicht mehr viel zu sagen haben.
Oder eine berufliche Veränderung führt zu privaten Konsequenzen: Sie oder er will ein völlig neues Leben beginnen. Auch der Eintritt ins Rentenalter ist ein Einschnitt, der zwar mehr Freiräume, aber auch neue Belastungen mit sich bringt. "Manchmal sind es einfach Ereignisse oder Erlebnisse wie ein runder Geburtstag, eine Trennung im Bekanntenkreis oder ein Kuraufenthalt mit neuen Erfahrungen, die dazu führen, dass eine Partnerschaft nach langer Zeit infrage gestellt wird", erläutert Fooken. Anders als früher ist der Gang zum Scheidungsanwalt nicht mehr so stark ein Tabu. Ehefrauen sind seltener als früher wirtschaftlich abhängig von ihrem Mann.
Für Felix Löckle sind Scheidungen dennoch ein langer Prozess: "So was passiert nicht spontan." Zumal die ökonomischen Risiken hoch sind. "Wenn es eine gemeinsame Immobilie gibt, muss diese oft verkauft werden", sagt der Anwalt. Hinzu kommen höhere Kosten des Allein-Lebens: Versicherungen müssen von Familien- und auf Singleverträge umgestellt werden, der Kfz-Schadenfreiheitsrabatt kann nur von einem genutzt werden. Auch die Krankenversicherung wird teurer.
Mitunter droht eine Scheidung gar in der Armut zu enden, besonders bei Rentnern. "Wenn die Frau nie gearbeitet hat und der Mann 2.000 Euro Rente erhält, wird das beim Versorgungsausgleich halbiert", erläutert der Anwalt. Für jeden bleibt nur die Hälfte. "Da droht sehr schnell Hartz IV", sagt Löckle. Er rät daher manchmal sogar seinen Klienten, nach der Trennung formal verheiratet zu bleiben.
Neu anfangen ist möglich
Wer sich allerdings zur Scheidung entschlossen hat, egal wie spät, für den geht es um Emotionen und erst mal weniger ums Geld. "Bei uns hat sich einmal ein Mann gemeldet, dem die Ehefrau nach der Goldenen Hochzeit den Ring auf den Tisch gelegt hat", berichtet Insa Fooken. Der Mann sei "aus allen Wolken" gefallen, weil er damit nicht gerechnet hatte. Die Frau wollte noch mal neu anfangen.
Christoph Pompe, Pfarrer und Psychotherapeut, kennt ähnliche Geschichten. Er hat lange in der Eheberatung gearbeitet und ist als Seelsorger für ältere Menschen in einem Wohnstift in Ostwestfalen-Lippe tätig. Dort traf er kürzlich auf eine 83-jährige Rentnerin, die ihm mit Stolz erzählte, dass sie sich mit Ende 60 von ihrem Mann getrennt habe und mit Freundinnen um die Welt gereist sei.
Ehe muss sich bewähren
"Späte Scheidungen können durchaus neue Freiräume schaffen, wenn die Ehe einfach unglücklich war", sagt Pompe. Er weiß aber auch, dass eine Trennung im hohen Alter viele seelische Belastungen mit sich bringt. "Oft billigen das gerade erwachsene Kinder nicht und schlagen sich auf die Seite des oder der Verlassenen", erzählt Pompe, der zweiter Vorsitzender der Evangelischen Konferenz für Familien- und Lebensberatung ist. Gerade wenn es einen neuen Partner gibt, geht es auch um das gemeinsame Erbe.
Die generell sinkenden Scheidungszahlen zeigen nach seiner Ansicht, dass die Ehe kein Auslaufmodell ist. "Viele Studien belegen, dass sich gerade junge Leute lange, feste und verbindliche Beziehungen wünschen", ist er überzeugt. Allerdings müsse die Ehe sich in verschiedenen Lebensphasen bewähren - und angesichts der zunehmenden Lebenserwartung immer länger halten.