Zwischen katholischen und evangelischen Christen ist in den vergangenen 50 Jahren mehr an Nähe erreicht worden als in den 400 Jahren davor. Doch in der Ökumene kommt es zurzeit immer öfter zum Wackelkontakt. Dafür steht nicht allein der Disput um die Handreichung der deutschen Bischöfe zum Kommunionempfang von evangelischen Ehepartnern. Für ihr am Mittwoch im Herder-Verlag erschienenes Buch "Und jetzt? - Ökumene nach dem Reformationsjubiläum" befragten die beiden Journalisten Claudia Keller und Stefan Orth prominente Theologen nach dem Stand der Beziehungen zwischen den beiden großen Konfessionen.
Auf der Suche nach neuer Phase im Dialog
Ökumene sei immer auch Teil der weltweiten Kirchenpolitik und "daher allein auf der Grundlage sachlicher Argumentationen nicht hinreichend zu verstehen", gibt Dorothea Sattler zu bedenken, Professorin für Ökumenische Theologie und Dogmatik in Münster. "Persönlichkeiten mit ihren Eigenarten und divergierenden Standorten prägen die ökumenische Theologie mehr als andere Bereiche", sagt Sattler.
Nach wie vor trennt Katholiken und Protestanten ein sehr unterschiedliches Verständnis davon, was Kirche ist, heißt es im Vorwort. Kardinal Walter Kasper, ehemaliger "Ökumeneminister" des Vatikans, beklagt das Fehlen einer gemeinsamen ökumenischen Vision. Manchmal hat man den Eindruck: Alle wollen die eine Kirche, aber alle verstehen darunter etwas anderes", so Kasper. Man sei sich nicht einig, "wohin die ökumenische Reise konkret führen soll".
Für Kardinal Kasper sind es auch ethische Probleme, die einen Keil zwischen Lutheraner und Katholiken treiben. Zum Beispiel die Bereiche Ehe und Familie, Abtreibung, gleichgeschlechtliche Partnerschaften, Beihilfe zum Suizid und neuere bioethische Themen. Kasper: "Das sind konkrete Fragen, welche das Leben sehr vieler Menschen betreffen." Derzeit gebe es darin zwischen den Kirchen keinen Konsens. Aber "gerade in unserer pluralistischen Gesellschaft wäre ein gemeinsames Zeugnis der Kirchen dringend notwendig", so der frühere Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen in Rom.
Wieviel wäre schon gewonnen, wenn in Deutschland beide großen Konfessionen in Fragen der Sozial-, Wirtschafts- und Bioethik erneut mit einer Stimme sprächen", mahnt der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki im Oktober 2017 in einem Beitrag, den das Buch nachdruckt. "Es gibt - so scheint mir - einen zunehmenden Dissens in moral- und sozialethischen Fragen. Ob es um die Stichtagsverschiebung für den Import getöteter Embryonen, um die Präimplantationsdiagnostik (PID), um die 'Ehe für alle' oder um die Beurteilung von Abtreibung, Sterbehilfe oder Scheidung geht, immer wieder wird ein vormals bestehender Konsens brüchig", schreibt Woelki.
Es habe den Anschein, "als sei die katholische Kirche an keiner anderen Stelle dogmatisch so streng wie im Verhältnis zum Protestantismus", bemerkt Thomas Söding, Professor für Neues Testament an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bochum. "Jede kleine Differenz in ethischen Grenzfragen wird zu einem Grundkonflikt hochstilisiert, so als ob es keine Gemeinsamkeit gäbe, wenn keine hundertprozentige Übereinstimmung herrscht", kritisiert er: "Im Verhältnis zu anderen Konfessionen ist die katholische Kirche weit offener." Als Beispiel nennt Söding etwa die Orthodoxen. Zudem falle es dem Katholizismus notorisch schwer zu verstehen, warum es Christen gibt, "die nicht katholisch sein wollen".
"Einen nüchternen Blick auf die Beziehungen zwischen Protestanten und Katholiken wirft der Wiener Theologe Ulrich H. J. Körtner. Die Teilnahme von Papst Franziskus am 31. Oktober 2016 am Auftakt des 500. Reformationsjubiläums im schwedischen Lund habe "in substanzieller Hinsicht" keinen Fortschritt für die Ökumene gebracht. Körtner: "Franziskus zeigte sich einmal mehr als Meister der Symbole und Gesten. Aber echte Geschenke hatte er nicht im Gepäck." Von der Anerkennung der Lutheraner als Kirche im Vollsinn des Wortes sei man unverändert weit entfernt, "von der Anerkennung der anderen aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen ganz zu schweigen", beklagt der Ordinarius für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.
"Wir sind Christen, bevor wir evangelisch oder katholisch sind", betont der evangelische Berliner Altbischof Wolfgang Huber: "Das gemeinsam Christliche ist wichtiger als konfessionelle Trennungen. Aber Christ ist man nicht im luftleeren Raum, sondern in der bewussten Aneignung einer bestimmten Tradition." Christen bräuchten vor der Vielfalt keine Angst zu haben. "Wenn diese Angst vergeht, erkennen wir, dass wir in unserer Verschiedenheit zusammengehören. Dann sind wir alle - in unserer bleibenden Verschiedenheit - evangelisch und katholisch zugleich", unterstreicht der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).