Ihre dunklen Augen sprechen eine deutliche Sprache: Sie flackern unruhig, wenn Mariam Khatun von ihrer Flucht aus Myanmar berichtet. Wie viele Angehörige der muslimischen Rohingya-Volksgruppe hat auch sie Morde, Missbrauch und Vergewaltigungen mitangesehen. Ihre Familie habe sich retten können, als die Armee ihr Dorf niederbrannte, erzählt Khatum im Flüchtlingslager von Cox's Bazar in Bangladesch. Eine Woche dauerte es, bis sie die Grenze erreichten, erschöpft und hungrig, sie selbst hochschwanger, von Schmerzen gepeinigt. Das jüngste ihrer zehn Kinder, den inzwischen sechs Monate alten Mo Omar, brachte die 39-Jährige auf der Flucht zur Welt. In Bangladesch angekommen wurden sie von Dorfbewohner zunächst mit dem Nötigsten versorgt.
Ähnliches berichtet auch Abu Kalom. Hals über Kopf mussten der 28-Jährige, seine Frau Romida Begom und die zwei kleinen Kinder fliehen. Ihr Heimatdorf brannte lichterloh, von ihrem Besitz konnten sie nicht retten. Ihnen halfen ebenfalls Ortsansässige in Bangladesch, noch bevor internationale Organisationen zur Stelle waren. Die jüngste Massenflucht der Rohingya aus Myanmars westlichem Rakhine-Staat begann vor sechs Monaten. Ende August hatte die Rohingya-Miliz Arsa Grenzposten von Polizei und Militär überfallen, woraufhin Myanmars Armee einen brutalen Feldzug startete. Die Soldaten gingen auch in Regionen vor, in denen es keine Arsa-Attacken gegeben hatte.
Damals, zur Regenzeit, versanken die notdürftigen Flüchtlingsbehausungen im Distrikt Cox's Bazar nahezu im Schlamm. Im Februar hingegen ist von Regen keine Spur, der gelbliche Boden staubtrocken. Nur allmählich können Hilfsorganisationen die Not dieser fast 700.000 Menschen lindern, von denen nahzu 60 Prozent Kinder sind.
Ihr Trauma haben sie längst nicht überwunden. "Wenigstens brauchen wir hier keine Angst zu haben", sagt Mariam Khatun. Mittlerweile lebt sie in einem Campbereich, in dem das katholische Hilfswerk Caritas ein "Modelldorf" für 182 Familien errichtet hat - mit Brunnen, Waschmöglichkeiten und Entwässerungskanälen. Abu Kalom, ein schmaler, ruhiger Mann, ist zum "Majhi" aufgestiegen, einer Art Vorsteher. Täglich geht er von Unterkunft zu Unterkunft, fragt, ob es Probleme gibt oder überlegt, wie man das Camp sicher und sauber halten kann.
"Es geht nicht nur darum, Leben zu retten, sondern auch, diesen Menschen ein Dasein in Würde zu ermöglichen, so gut es unter diesen Bedingungen geht", betont der für den Distrikt Cox's Bazar zuständige Caritas-Regionaldirektor James Gomes. Wenn spätestens ab Juni die neue Monsunzeit beginnt, bedeutet das weitere Herausforderungen. Um zu verhindern, dass Erdrutsche und Schlammlawinen Menschenleben kosten, müssen vielerorts Drainage-Systeme erweitert oder neu gebaut, Unterkünfte gesichert oder Flüchtlinge umgesiedelt werden.
Seit Ende der 1970er Jahre hat Bangladesch Hunderttausende Rohingya aufgenommen. Damit ist eines der ärmsten Länder Asiens zum Ziel für nunmehr über eine Million Hilfesuchende geworden. Entsprechend rumort es dort: So gibt es Ortsansässige, die sich mittlerweile mit dem Massenansturm überfordert sehen. Auch die Regierung in Dhaka lässt wiederholt durchblicken, dass sie die Rohingya lieber heute als morgen zurückschicken würde.
Dem mag sich Shamimul Huq Pavel so nicht anschließen. Er bittet sich Respekt für die Flüchtlinge aus: "Die Rohingya haben nicht nur die Gräuel in Myanmar erlebt, sondern zudem keinen Platz, den sie Zuhause nennen dürfen, obwohl sie seit Generationen in Myanmar leben", sagt der energische, für zwei Camps als Koordinator eingesetzte Regierungsvertreter. Zugleich betont er: "Bangladesch tut, was es kann, aber die Lösung des Problems liegt in Myanmar."
Aber die ist nicht in Sicht. Zwar vereinbarten Myanmar und Bangladesch Ende November ein Abkommen für die Rückführung. Menschenrechtler kritisierten dieses jedoch als "PR-Trick". Die Sicherheit der Rohingya ist weder garantiert noch ist von Staatsbürgerrechten die Rede. Vertreter von Hilfsorganisationen wie James Gomes nennen den Pakt "absurd". Obwohl ihnen bewusst ist, dass sie in Bangladesch in einer Art Zwischenwelt leben, wehren sich auch die Flüchtlinge gegen eine Rückkehr: "Myanmar gleicht einer Hölle", sagt Abu Kalom. Für ihn sowie auch für Mariam Khatun steht fest: "Wir gehen nur zurück, wenn unsere Rechte garantiert werden."