Herr Rink, Sie sind seit August 2014 der erste hauptamtliche evangelische Militärbischof in Deutschland. Jetzt haben Sie sich kritisch zu Wort gemeldet zum Thema minderjährige Soldatinnen und Soldaten bei der Bundeswehr.
Sigurd Rink: Ja, das sollte meines Erachtens die absolute Ausnahme sein, weil der Dienst an der Waffe und die Ausbildung an der Waffe keine Schreinerlehre ist oder ein anderer Beruf, sondern ein hohes Maß an ethischer und moralischer Reflexion voraussetzt und damit eben auch Volljährigkeit. Die Grundidee der Bundeswehr zur Zeit ihrer Gründung war ja das berühmte Diktum von dem Staatsbürger in Uniform. Und damit verbunden sind heute eben auch Wahlrecht und Volljährigkeit. Und ich denke, das sollte der Normalfall sein. Ein Dienst und eine Ausbildung an der Waffe sind also vor der Volljährigkeit nicht angezeigt.
Aber es gibt doch auch schon den Führerschein mit 17 und kommunales Wahlrecht mit 16. Sollte man da nicht moderner und flexibler mit der Altersbeschränkung umgehen?
Rink: Ich denke, dass man keine Grundausbildung bei der Bundeswehr machen kann, ohne sich auch die fundamentalen Fragen des Dienstes an der Waffe zu stellen. Da sollte man mindestens 18 Jahre alt sein.
Kritiker sprechen von einer Art Skandal, dass die Bundeswehr jetzt Kindersoldaten hat. Ist das nicht übertrieben?
Rink: Also förmlich nach der UN-Konvention ist das so. In der Tat bezeichnet man Soldatinnen und Soldaten unter 18 als Kindersoldaten. Im deutschen Sprachgebrauch denkt man bei dem Begriff zuerst an Ost-Kongo, an zwölf bis 14Jährige, die mit der Kalaschnikow durch die Gegend laufen und Menschen umbringen. Davon kann in Deutschland keine Rede sein. Aber förmlich und juristisch gesehen ist das schon so.
Die Bundeswehr hat heute rund 250.000 Beschäftigte, davon rund 160.000 bis 170.000 Soldaten. Ist da die Kritik an etwas über 2000 Minderjährigen in der Truppe nicht übertrieben?
Rink: Nein, das macht mir Sorgen. Wir bewegen uns eben schon munter im vierstelligen Bereich. Da sage ich: Nehmt die Kritiker und die UN-Konvention an dieser Stelle ernst. Es sollte die echte Ausnahme sein. Jetzt wird es aber fast zur Regel.
Aber in anderen NATO-Armeen gibt es doch auch Rekruten unter 18 Jahren.
Rink: Länder wie England, Frankreich oder die USA haben ein ganz anderes Verhältnis zu ihrer Tradition, weil der Zweite Weltkrieg in diesen Ländern als ein "just war", ein gerechter Krieg gilt. Dagegen herrscht bei uns nach den Verheerungen des Dritten Reiches ein gebrochenes Verhältnis zum Militär, so dass Deutschland ganz hohe Maßstäbe an Qualitätsentwicklung, an Kompetenzen aber auch an die moralische Integrität der Bewerberinnen und Bewerber stellt. Das sollte auch so bleiben.
Wenn jetzt schon auf minderjährige Menschen zurückgegriffen werden muss, war das wirklich so eine gute Idee, im März 2011 die Allgemeine Wehrpflicht auszusetzen?
Rink: Ich spüre in der Tat, dass die Reflexion zum Thema Wehrpflicht, Landes- und Bündnisverteidigung oder Auslandseinsätze, die ja früher in nahezu allen Familien vorhanden war, abbricht. Die Frage zum Dienst mit der Waffe und die Friedensdebatte ist dadurch in den Hintergrund getreten. Die Infrastruktur aber, um die Wehrpflicht wieder in Gang zu setzen, ist gar nicht mehr vorhanden. Die Bundeswehr ist durch viele Transformationen und Reformen hindurch gegangen und erheblich verkleinert worden. Auch die Gewinnung von Nachwuchs für die Bundeswehr geschieht nicht mehr breit durch die Bevölkerung hindurch, sondern konzentriert sich auf bestimmte Bevölkerungskreise insbesondere aus den mittel- und ostdeutschen Bundesländern. Das ist ein Verlust.
Die neue Debatte um sogenannte Kindersoldaten in der Truppe steht nicht für sich allein. Hinzu kommen Missbrauchsskandale und rechte Umtriebe in einigen Kasernen. Oder eben die allgemeine Belustigung über die mangelnde Einsatzbereitschaft wegen schlechter Ausrüstung. Hat die Bundeswehr also ein Image-Problem?
Rink: Die Bundeswehr hat in den letzten 25 Jahren einen enormen Rückbau erlitten. Die Präsenz ist nicht mehr gegeben. Es gibt bundeswehrfreie Zonen im Land. Das ist ganz anders als in anderen NATO-Ländern. Wenn Sie in Amerika in eine Show gehen, fällt der Spruch: "save our troops", also bewahrt unsere Truppen. In England gibt es Paraden mit den Veteranen des Zweiten Weltkriegs. Ihr habt uns vor Hitler-Deutschland gerettet, heißt es dann dankbar. In Deutschland aber ist es ein ähnliches Verhältnis wie zum ADAC. Es muss die Bundeswehr schon geben. Aber so furchtbar viel zu tun haben damit wollen wir dann doch nicht. Es ist eine gebeutelte Institution. Der parlamentarische Auftrag kann gar nicht mehr erfüllt werden. Allerdings hat das Verteidigungsministerium jetzt die Trendwende versprochen, beim Personal wie bei der Ausrüstung. Kritiker nennen das eine ungute Aufrüstung. Ich nenne das eine Stabilisierung.
Sie haben in Ihrer mehr als dreijährigen Amtszeit mehr als 100 Standorte und fast alle Auslandsmissionen besucht. Wie erleben Sie die Stimmung in der Truppe?
Rink: Das Tragen von Uniform im öffentlichen Raum wird kontrovers erlebt. Soldatinnen und Soldaten schildern mir immer wieder, dass es zu Anfeindungen kommt. Man wird am Berliner Hauptbahnhof entsprechend angepöbelt. Da möchte man schon mehr öffentliche Anerkennung.
Und für die Kirche? Ist die Bundeswehr dort ein Thema?
Rink: Die EKD-Synode im Herbst 2019 hat die Friedensethik zum Schwerpunktthema gesetzt. Wir haben ein Dialogprojekt mit den evangelischen Akademien und ein Forschungsprojekt bei der FEST in Heidelberg. Da geht es unter anderem auch um automatisierte Waffensysteme. Also ja, es gibt wieder eine neue Aufmerksamkeit bei der Kirche für friedensethische Themen und für die Bundewehr.