Diakonie-Präsident kritisiert "Warteschleife" in der Politik
Der Präsident des Diakonie-Bundesverbandes, Ulrich Lilie, beklagt den derzeitigen Stillstand in der Politik vor allem mit Blick auf soziale Probleme. "Drängende Fragen hängen in der Warteschleife - etwa die Zukunft der Pflege", sagte Lilie dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Die Zahl der Hilfsbedürftigen steige rasant und es stünden immer weniger qualifizierte Menschen zur professionellen Unterstützung bereit. Druck mache auch die aktuelle Entwicklung in Europa. "In Paris und Brüssel wartet man dringend darauf, dass Berlin wieder handlungsfähig wird und dass sehr bald eine neue Bundesregierung die soziale und gerechte Zukunft des Kontinents mitgestaltet", sagte der Chef des evangelischen Wohlfahrtverbandes.

Auch in Deutschland warteten die Menschen drei Monate nach der Bundestagswahl, nach denen noch immer keine Bundesregierung steht, auf Antworten aus der Politik. Als Beispiel nannte Lilie den Mangel an bezahlbaren Wohnraum. "In Berlin hat mehr als die Hälfte der Menschen Angst, ihre Wohnung auf Dauer nicht mehr bezahlen zu können. Das ist ein alarmierendes Signal", sagte er. In München oder Frankfurt am Main könne man schon sehen, wohin es führe, "wenn Menschen mit kleinem Portemonnaie rausgedrängt werden und am städtischen Leben nicht mehr teilhaben können". Zudem drifteten die Lebensverhältnisse zwischen den boomenden Ballungsräumen und den abgehängten Regionen in alten Industrierevieren und auf dem Land immer weiter auseinander.

Könnte er eine Gesetzesänderung in den Koalitionsvertrag schreiben, wäre es ein Ende der Kompetenzaufteilung in der Bildung, sagte Lilie. Bund und Länder müssten das Problem gemeinsam anpacken. "Es geht um die Zukunft unserer Kinder und unseres Landes", betonte der Theologe. Das Bildungssystem werde immer weniger durchlässig. "Wenn da nichts geschieht, werden soziale Unterschiede über Generationen hinaus zementiert", mahnte der Diakonie-Präsident und ergänzte: "Wir brauchen im kommenden Jahr mehr Mut zur gestaltenden Veränderung statt populistischer Symboldebatten."



Auch der Arzt und Entertainer Eckart von Hirschhausen fordert mehr Anerkennung für Pflegekräfte. "Wir kriegen es einfach nicht hin zu sagen, dass Pflege ein ehrenwerter Beruf ist", kritisierte er im Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Samstag). "Es braucht auf einer Station nicht eine Pflegekraft für 40 Patienten, sondern drei. Und Krankenhäuser, die diese drei Stellen nicht finanzieren, müssten geschlossen werden. Das ist die Sprache, die die Verwaltungschefs verstehen."

Bereits heute fehlten 50.000 Pflegekräfte, mahnte von Hirschhausen. In zehn Jahren werde es anderthalb Millionen Menschen mehr geben, die Pflege benötigten. "Und wir lassen es zu, dass unsere gut ausgebildeten Pflegekräfte lieber in Norwegen oder der Schweiz arbeiten, weil sie da anständig behandelt und bezahlt werden." Im Gegenzug importierten die Deutschen wiederum Pfleger aus Spanien, Rumänien oder Polen, die dann in ihren eigenen Ländern fehlten. "Da ist ein total schwachsinniger Kreislauf in Gang gekommen."

Das deutsche Gesundheitswesen sei medizinerlastig, während viele der anderen Berufsgruppen deutlich zu kurz kämen, kritisierte der Mediziner. Wichtig wäre es, mehr Menschen ins Gesundheitswesen zu bringen und die Ärzte team- und kommunikationsfähiger zu machen. "Dann würde ich behaupten, dass die Zahl der Ärzte, die wir ausbilden, auch ausreicht." Doch der Mangel an Pflegekräften könne dem Land noch "auf die Füße fallen."