Pastorin Andrea Pistor zündet in der Martin-Luther-Kirche in Sydney feierlich die Kerzen am Adventskranz an. Mitten im australischen Sommer erfordern die beschaulichen deutschen Weihnachtsbräuche schon mal ein wenig mehr Aufwand: "Einmal sind mir eine Handvoll Kerzen im Auto geschmolzen, seitdem transportiere ich sie nur noch in der Kühltasche", sagt die 43-Jährige. Der Weihnachtsbaum stammt traditionell von einer höher gelegenen Plantage aus der Nähe von Canberra. Andrea Pistor hofft nur, dass der Baum wegen der Hitze nicht wieder so heftig nadelt wie vor einigen Jahren.
"Im Hochsommer sind wir etwas mehr herausgefordert, das Fest festlich zu gestalten und uns zu besinnen", sagt die Pfarrerin. Richtig viel Arbeit kommt auf sie und ihren Mann Thomas Dietl (44) am Weihnachtstag zu: Das Pfarrerehepaar, das sich die Auslandspfarrstelle der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) teilt, bietet acht Gottesdienste für deutschsprachige evangelische Christen im Großraum Sydney an. Dazwischen feiert die Familie selbst, die Kinder sind sechs und neun Jahre alt: Heiligabend mit Abendessen und Bescherung, ganz traditionell wie zu Hause im niedersächsischen Flechtorf bei Wolfsburg.
Würstchen, Kartoffelsalat, Stollen und selbst gebackenen Plätzchen
Die evangelische Martin-Luther-Kirche in Sydney, erbaut 1881, steht mitten im Zentrum zwischen gigantischen Hochhäusern. Draußen rauscht der Verkehr vorbei. Ein Haus weiter veranstalten die Senioren ihre Adventsfeier in der "Lutherstube": Ein Dutzend deutsche Auswanderer feiern bei Würstchen, Kartoffelsalat, Stollen und selbst gebackenen Plätzchen. Danach wird gesungen, "Alle Jahre wieder" und "Lasst uns froh und munter sein".
Nun ist Zeit, Erinnerungen an frühere Weihnachten hervorzukramen. Inge Müller (79), Vorsitzende der deutschen Luther-Senioren in Sydney, lebt seit 55 Jahren in Australien - sie hat damals ihren Brieffreund geheiratet. 1962 erlebten sie in Australien gleich am ersten Weihnachten ein kleines Unglück: Der Weihnachtsbaum brannte ab. "Seitdem verwenden wir nur noch elektrische Kerzen." Ein wenig wehmütig ist sie: "Wir vermissen das Gemütliche aus Deutschland an Weihnachten. Hier ist Sommer und alle feiern laute Partys."
Zur Weihnachtszeit haben die ersten australischen Schüler bereits Ferien, die Sydneysiders bereiten sich auf familiäre Grill-Nachmittage am "Christmas Day" vor, dem ersten Weihnachtsfeiertag. Die finden meist im Garten mit der ganzen Familie statt, die Temperaturen liegen deutlich über 30 Grad.
"Der Sinn von Weihnachten ist hier nicht so präsent wie in Deutschland. Es leben ja auch so viele andere Nationalitäten und Religionsgruppen in Sydney", sagt Vroni Pfuhl, ehrenamtliche Mitarbeiterin in der katholischen deutschsprachigen Gemeinde. Hier erklingen "Maria durch ein Dornwald ging" und "Tochter Zion" auf der Adventsfeier. In der Küche des katholischen Gemeindezentrums in Croydon haben Irene und Franz Langer, Auswanderer aus Karlsruhe, Königsberger Klopse fürs Mittagessen geformt, auf den Tischen liegen Lebkuchen.
Die 93-Jährige Emmi Kokott kommt aus dem mittelfränkischen Weißenburg, seit 1953 lebt sie in Australien. In Deutschland sei doch alles viel feierlicher, sagt sie und erinnert sich an die Christvesper um 23 Uhr am Heiligen Abend in der Lorenzkirche in Nürnberg. Und natürlich an den Christkindlesmarkt: "Ich habe den Türkischen Honig dort geliebt", schwärmt sie.
In Sydney sind die Haustüren mit Santa-Claus und bunten Merry-Christmas-Schriftzügen dekoriert. Am Eingang des angesagten Restaurants "Coogee Pavillon" steht eine Rentier-Figur. Und am Martin Place mitten im Zentrum ragt ein gigantischer Weihnachtsbaum empor, der nachts hell beleuchtet wird.
Gefeiert wird am 25. Dezember. Am 24. wird noch hektisch vorbereitet, in den Supermärkten müssen noch schnell die frischen Erdbeeren, Mangos, Kirschen und Spargel gekauft werden. Nur am "Christmas Day" sind die Geschäfte geschlossen, für alle ein freier Tag. Die Geschenke bringt Santa Claus und zum Dinner werden entweder Truthähne gebraten - oder eben Steaks und Würste auf den Grill gelegt. Und dann zieht es viele Familien zum Picknick oder an den Strand. Am "Boxing Day", dem zweiten Weihnachtsfeiertag, sind die Geschäfte wieder offen, da geht man shoppen oder schaut sich ein Cricket-Match an.
Der Adventsnachmittag der deutschen Auswanderer in der Lutherstube in Sydney neigt sich langsam dem Ende zu. Die Senioren singen "Leise rieselt der Schnee", einmal noch "Süßer die Glocken nie klingen", dann wird das Vaterunser gesprochen. Draußen zeigt das Thermometer 25 Grad an - für Sydney ein sehr angenehmer Tag.