Gemeinschaftsgräber, hier die Rosengrabstätte, beginnen sich seit einigen Jahren als eine Alternative zu anonymen Grabstätten durchzusetzen.
epd-bild/Stephan Wallocha
Gemeinschaftsgräber, hier die Rosengrabstätte, beginnen sich seit einigen Jahren als eine Alternative zu anonymen Grabstätten durchzusetzen.
Friedhofskultur im Wandel
Der Friedhof in Hamburg Ohlsdorf ist wie ein Labor für Friedhofskultur, wo neben den traditionell christlichen Beerdigungen auch zahlreiche alternative Bestattungsarten möglich sind. Die Entwicklung der Friedhofskultur früher und heute ist auf dem Ohlsdorfer Friedhof erlebbar.

An einem nieseligen Herbsttag im Jahr 1917 zieht ein großer Trauerzug über den Ohlsdorfer Friedhof. Der Pastor läuft auf einer Allee zur Grabstelle, gefolgt von sechs Sargträgern mit weißen Halskrausen, schwarzgekleideten Angehörigen sowie Freunden und Bekannten. Der Pastor spricht Worte aus der Bibel, die Trauergemeinde nimmt Abschied und wirft Erde und Blumen ins Grab. Heute, Hundert Jahre später, haben die Sargträger immer noch weiße Halskrausen und die Trauergemeinde trägt schwarz - doch einiges hat sich durchaus geändert.

Autor:in
Özgür Uludağ
Özgür Uludağ

Özgür Uludağ ist freier Journalist und arbeitet für NDR, ARD und ZDF an Dokumentationen und Reportagen, sowie für die Orientzeitschrift "Zenith". Er hat Islamwissenschaften studiert und promoviert in Kiel zu islamischen Beerdigungen.

Das zeigt sich beispielsweise auf der Bestattermesse in Hamburg. Der Titel ist Programm: "Happy End". Im Foyer der Party-Location "Hühnerposten", wo sonst jüngeres Publikum die Nacht durchfeiert, haben 38 Aussteller Stände aufgebaut und im Hintergrund legt eine Deejane Lounge-Musik auf. Ob Kristall- oder Diamantenbestattung, wo aus der Asche des Verstorbenen ein Kristall oder eben Diamant gepresst wird oder private Krematorien, Sargträger, Hospize, alle arbeiten daran, die letzten Stunden zu einem glücklichen Ende werden zu lassen. Dies gelingt offenbar am besten mit individuell gestalteten Urnen, Särgen oder Traueroblaten, Videobotschaften für die Angehörigen und Büchern oder Kunst zum Thema Tod und Sterben.

Wie vielfältig die Möglichkeiten sind das letzte Geleit kreativ auszugestalten, erklärt Anja Wiebke, Leiterin für Marketing des Ohlsdorfer Friedhofs, am Messestand den Besuchern. Vieles von dem, was auf der Messe präsentiert wird, findet auf dem Ohlsdorfer Friedhof längst statt. Neben den gewöhnlichen Wahlgrabstätten bietet der Ohlsdorfer Friedhof Kolumbarien und eine Urnenkrypta, in denen Urnen in Wandnischen oberirdisch bestattet werden. Außerdem gibt es die Möglichkeit sich am Blumenband, im Ruhewald, in Baumgräbern, an Paar-Bäumen, im Schmetterlingsgarten, im Rosenhain und auf besonders gestalteten Grabfeldern oder einfach anonym beerdigen zu lassen.

Anja Wiebke, Leiterin für Marketing des Ohlsdorfer Friedhofs

"Wir könnten uns vorstellen, dass wir nächstes Jahr diese Messe bei uns im Forum Ohlsdorf veranstalten. Das würde sicher auch gut dort hinpassen", sagt Anja Wiebke kurz nach einem Vortrag über "Die neue Vielfalt auf den Friedhöfen", den sie auf der Messe gehalten hat. Zur Vielfalt gehören auch die Grabstätten verschiedener Nationen und Religionen, wie zum Beispiel die jüdischen und islamischen Grabfelder. Schon von Gründung an sei Vielfalt Teil des Konzepts für den Friedhof Ohlsdorf, sagt Anja Wiebke. "Der Gründer Wilhelm Cordes konzipierte den Friedhof schon im Jahr 1877 überkonfessionell, was in der damaligen Zeit eher ungewöhnlich, aber sehr wegweisend war."

Das Haus des ewigen Lebens

Das jüdische Grabfeld liegt direkt neben dem Ohlsdorfer Friedhof und wird durch einen eigenen Eingang betreten. Nur noch hier wird in Hamburg eine Trauerfeier in einer Friedhofssynagoge und eine Beisetzungen nach jüdischem Ritus durchgeführt. Das bedeutet, dass die Verstorbenen ohne Sarg, eingehüllt in ungesäumte Leinentücher (Tachrichin) gewickelt, beerdigt werden können.

Außerdem sind jüdische Gräber, anders als die meisten Gräber auf dem Friedhof Ohlsdorf nicht zeitlich befristet. Denn jüdische Gräber sind für die Ewigkeit ausgelegt. Deswegen heißt der Friedhof auf Hebräsich auch Bet-Hachajim und meint damit "Das Haus des ewigen Lebens". Das hier aber auch Grabsteine stehen, die viel älter sind als der Friedhof, liegt daran, dass einige Gräber von geräumten jüdischen Friedhöfen in Hamburg hierher umgebettet worden sind.

Asche aus Auschwitz auf dem jüdischen Friedhof Ohlsdorf.

Ein Gemisch aus verschiedenen jüdischen Traditionen hat sich daher hier versammelt. Neben den Grabfeldern der sephardischen Gemeinde, die im 15. Jahrhundert wegen Verfolgung von der iberischen Halbinsel nach Hamburg geflohen sind, stehen hier auch die Grabsteine von aschkenasischen Juden aus Mittel- und Osteuropa. Anders als die übrigen jüdischen Gräber haben die spanischen und portugiesischen Juden ihre Grabgestaltungstradition beibehalten. Ihre Gräber bestehen aus Grabplatten und gerahmten Sarkophagen oft mit portugiesischen und hebräischen Inschriften. Die aschkenasischen Juden werden hier getrennt von den sephardischen Juden beerdigt. Ihre Gräber sind eher schmucklos und wirken auf den ersten Blick ungepflegt. Das hat vor allem theologische Gründe, denn der Friedhof gilt als ein unreiner Ort und die Totenruhe sollte durch das Ablegen von Devotionalien nicht gestört werden. Das Ablegen von kleinen Steinen auf den Grabsteinen wiederum kommt zwar vor, ist aber eher eine Tradition von Juden aus dem Nahen Osten. Doch die Abgrenzungen weichen immer mehr auf und so legen inzwischen sowohl sephardische als auch aschkenasische Juden kleine Kieselsteine auf Grabplatten.

Ein völlig anderes Bild bietet das islamische Grabfeld am anderen Ende des Ohlsdorfer Friedhofs. Bunt gemischt liegen hier Muslime aus aller Welt und von allen islamischen Rechtsschulen. Sunniten und Schiiten aus der Türkei, dem Iran, Afghanistan, Bosnien oder Marokko.Die iranischen Gräber zeichnen sich durch große schwarze Grabplatten aus während die Grabsteine von arabischen Muslimen mit schönen Kaligraphien auffallen. Aber mittlerweile mischen sich die Traditionen. Grabsteine mit eingelassenen Fotos des Verstorbenen sind eher von Muslimen aus dem Kaukasus oder Iran bekannt, aber nun auch auf einigen Grabsteinen mit türkischem Namen zu entdecken.

Auf dem islamisch-iranischen Grabfeld fallen vor allem die Fotos und Gravuren in den Grabsteinen auf.

Auch christliche Traditionen werden übernommen, denn Blumen- oder Grabbesteck sind sehr unüblich bei der islamischen Grabgestaltung. Und doch ist auf fast jedem Grab Blumenbesteck zu sehen. Jüdische Bestattungsvorschriften stimmen mit den islamischen Bestattungsvorschriften überein, denn auch Muslime beerdigen ihre verstorbenen Angehörigen ohne Sarg, eingewickelt in Leinentücher und eine Feuerbestattung kommt weder für Juden noch für Muslime in Frage. Und auch Gräber von Muslimen dürfen zeitlich nicht befristet sein, doch das islamische Grabfeld gehört zum Friedhof Ohlsdorf. Da das Grabfeld nicht wie der jüdische Friedhof selbst verwaltet wird, gelten hier die Befristungen des Friedhofes - doch es steht muslimischen Familien frei, die Grabpacht zu verlängern.

Um den größten Parkfriedhof der Welt erleben zu können, bietet die Friedhofsverwaltung Ohlsdorf auf seinen 388 Hektar unterschiedliche Themengrabfelder an. Führungen zum Thema Garten und Kunst werden ebenso angeboten, wie Märchenspaziergänge oder Kunstführungen zu den mehr als 800 Grabskulpturen und sogar Rundgänge mit Motivsuche für Fotoshootings. Auch der Hamburger Wanderverein hat hier eine Route und die 450 Laub- und Nadelgehölzarten, zahlreichen Pflanzen- und Vogelarten können auf einer Tour des Naturschutzbundes NABU entdeckt werden. Dazu kommen noch die Vorträge oder Lesungen im Forum Ohlsdorf.

Parkfriedhof in Hamburg-Ohlsdorf mit dem Eingang zum anonymen Urnenhain.

Anja Wiebke arbeitet gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen daran den Wandel behutsam umzusetzen. Um den Bedürfnissen der Angehörigen nachkommen zu können, werden verschiedene Konzepte angeboten. "Blumen und andere Grabbeigaben, wie kleine Schmuckstücke, dürfen beispielweise nicht auf den Gräbern auf der waldartigen und naturbelassenen Fläche niedergelegt werden", sagt Anja Wiebke. Dafür gebe es Gräber in anderen Bereichen, wo dies erlaubt sei. Aber nicht nur die Gestaltung der Gräber und des Friedhofes, sondern auch der Rahmen einer Trauerfeier hat sich stark verändert, sagt Anja Wiebke. Die Trauergemeinden seien kleiner geworden und die Menschen hätten weniger Zeit. Die Trauergemeinde käme oft nur kurz zur Beerdigung und ginge dann wieder ihrem Alltag nach.

Stirbt der Friedhof aus?

Auf der kleinen Tour über den Friedhof ist Anja Wiebke oft mit dem Auto unterwegs, denn der Friedhof ist so weitläufig, dass sogar der öffentliche Nahverkehr hier mehrere Busstationen hat. Sie zeigt auf eine der zwölf Kapellen, wo noch Trauerfeiern stattfinden. Seit Jahren ist der Bedarf rückläufig und deswegen stehen werden drei Kapellen statt für Trauerfeiern für andere kulturelle Zwecke genutzt. Überhaupt steht der Friedhof vor einem großen Umbruch. Von den mittlerweile 1,4 Millionen Beisetzungen seit der Eröffnung sind nur noch etwa 235.000 Grabmale auf dem Friedhof zu sehen. Zum einen sind viele Weltkriegs- und Sturmflutopfer in Massengräbern beerdigt, aber vor allem werden viele Gräber nach einer Ruhefrist von 25 Jahren geräumt, wenn die Angehörigen die Grabpacht nicht verlängern.

Der "Ohlsdorfer Ruhewald" wurde im Jahr 2006 auf dem Friedhofsgelände in Hamburg-Ohlsdorf eingerichtet. Auf dem zwei Hektar großen Gelände werden Urnengräber rund um die alten Bäume angelegt.

Die Zahl der Urnenbeisetzungen ohne eigenen Grabstein ist stark gestiegen, womit mehr Grabflächen frei werden. Um dieser Entwicklung sinnvoll zu begegnen wurde das Projekt "Ohlsdorf 2050" mit dem Motto "Verändern heißt bewahren" gestartet. Bürger können sich mit ihren Ideen daran beteiligen. Für das Projekt stehen drei Millionen Euro zur Verfügung und es wird vom BMUB (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit) gefördert. "Der Friedhofszwang, der in Deutschland im Großen und Ganzen noch besteht und auch die Vorgabe, dass auch Urnen auf dem Friedhof bestattet werden müssen, ist wahrscheinlich endlich und wir tun gut daran Angebote zu schaffen und damit unsere Existenzberechtigung zu sichern", sagt Anja Wiebke mit Blick auf die Zukunft des Friedhofs Ohlsdorfs. Ihre Kolleginnen und Kollegen und sie arbeiten nun daran, dass der Friedhof von Besuchern als ein Ort der Besinnung und Entschleunigung neu entdeckt wird.