"Die Gesundheit meines Patienten wird mein oberstes Anliegen sein", heißt es in der Genfer Deklaration des Weltärztebundes, einer modernen Version des hippokratischen Eids. Ärzte auf der ganzen Welt berufen sich auf diesen Kodex. In deutschen Krankenhäusern ist er wichtiger denn je: Denn einer Studie zufolge müssen deren Führungskräfte täglich entscheiden, wie sie trotz des hohen finanziellen Drucks dem Patientenwohl dienen können.
Auch ein Krankenhaus ist ein Unternehmen, das wirtschaftlich überleben muss. Gesetzlich gilt: Die Bundesländer zahlen die Investitionskosten wie Um- und Neubauten und neue Technik, die Krankenkassen übernehmen die laufenden Betriebsausgaben und die Gehälter des Personals. Dennoch geht es vielen deutschen Krankenhäusern schlecht: Dem "Krankenhaus Rating Report" des RWI-Leibniz Institut für Wirtschaftsforschung zufolge stand 2015 jede zehnte Klinik vor der Insolvenz.
Das Dilemma: Ökonomie oder Medizin
"Das Krankenhaus-Finanzierungssystem funktioniert nur mangelhaft", erklärt der Essener Gesundheitsökonom Jürgen Wasem im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Seiner Meinung nach reicht das Geld der Bundesländer für die Krankenhaus-Investitionen nicht aus. Die Länder zahlen laut Wasem jährlich insgesamt knapp drei Milliarden Euro, die Krankenhäuser investierten aber jedes Jahr für sechs Milliarden Euro. "Die Klinik-Geschäftsführer sehen keinen anderen Weg, als aus den laufenden Erlösen Geld für die Investitionen abzuzweigen", sagt er.
Dieses Problem bestätigen Klinik-Geschäftsführer in einer im Oktober veröffentlichten Studie der Universität Witten-Herdecke. Die Befragung ergab, dass auf der Klinik-Chefetage ein enormer wirtschaftlicher Druck laste. Die befragten Geschäftsführer gaben an, ihr Job gleiche einem "perfiden Spiel" - sie müssten Entscheidungen treffen, von denen entweder die Ökonomie oder die Medizin profitiere.
Angela Krug leitet seit 27 Jahren östlich von Berlin ein Krankenhaus. "Mittlerweile gehe ich mit keinem guten Gefühl mehr zur Arbeit", sagte sie dem epd. Die Krankenhäuser erhielten immer mehr Aufgaben, aber immer weniger Geld. Von Kollegen und leitenden Ärzten höre sie immer öfter Sätze wie "Ich zieh mich hier raus" und "Ich kann das nicht mehr".
Laut Wasem hängt der Druck auch mit dem Finanzierungsmodell der laufenden Krankenhauskosten zusammen, das zu einer "Schärfung der ökonomischen Denkweise im Krankenhaus" geführt habe. Demnach zahlen die Krankenkassen den Kliniken nur die Kosten für die jeweilige Patientenbehandlung. Dies verleite Ärzte, sich eher für eine Krankenhausaufnahme zu entscheiden als dagegen.
"Die Krankenhäuser stehen unter dem Druck, zusätzliche Behandlungsfälle zu produzieren, um die fehlenden Investitionskosten auszugleichen", warnt Wasem. Genügend Betten für weitere Behandlungen sind vorhanden: Denn Deutschland hat zu viele Krankenhäuser, erklärt er. Jedes vierte Krankenhausbett stehe leer.
Dass der finanzielle Druck weitreichende Folgen für die Patienten hat, bestätigt eine Studie der Professoren Karl-Heinz Wehkamp und Heinz Naegler. Der Untersuchung zufolge kommt es aus Kostengründen vor, dass Patienten ohne medizinischen Grund im Krankenhaus behandelt werden. Die befragten Ärzte und Geschäftsführer gaben an, dass Entscheidungen über Aufnahme, Behandlungsart und Entlassung eines Patienten ohne Kostendruck häufig anders ausfallen würden. Die Geschäftsführerin Krug hält dieses Vorgehen in der Branche für möglich - zwar operiere kein Arzt Patienten unnötig, aber er reize unter Umständen nicht mehr alle Behandlungsmethoden aus, für die keine Operation notwendig wäre.
Die Geschäftsführerin hält die belastende Situation im Krankenhaus nicht mehr lange aus. "Der Konflikt hat sich stetig gesteigert, aber er erreicht so langsam eine Grenze", sagt Krug. Sie denkt darüber nach zu kündigen, weil sie unter diesen Umständen dort nicht mehr arbeiten möchte.