Der November ist die Zeit, in der es Verluste zu betrauern gibt. Die Blätter fallen von den Bäumen, der Regen macht es draußen ungemütlich, aber es ist auch die Zeit, in der sich Menschen bei Kerzenschein gemütlich zusammenfinden, um gemeinschaftlich die Verluste zu verwinden. So passiert in der Kirchengemeinde Bad Vilbel beim "Talk unterm Turm". Der sechseckige Saal war hell erleuchtet und voll besetzt, schließlich konnte Pfarrer Klaus Neumeier stellvertretend für die Christuskirchengemeinde an diesem Abend prominente Gäste begrüßen: Samuel Koch und Nikolaus Schneider redeten über das Leben, Gott und ihren Weg durch schwierige Zeiten.
Beide haben Erfahrung mit Verlusten. Schauspieler Samuel Koch war Leistungsturner, sitzt aber seit seinem Unfall bei der Fernsehshow "Wetten, dass...?" aufgrund einer Querschnittslähmung im Rollstuhl. Nikolaus Schneider war Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), trat aber vom Amt zurück als seine Frau Anne an Krebs erkrankte. Jahre zuvor war seine Tochter Meike an Leukämie gestorben. Gleich zu Beginn kam zur Sprache, was beiden im Leben am wichtigsten ist und sicher auch am meisten geholfen hat: Freunde und Beziehungen. Laut Nikolaus Schneider der Faktor, der seinem Leben Halt gibt, "ein Netz, das trägt und beschwingt".
Als seine Tochter Meike starb, waren es Freunde, die der Familie beistanden. Nicht mit großen Worten, sondern mit kleinen Taten: "Sie haben Suppe gekocht" und mit dieser simplen Geste verdeutlicht, dass das Leben trotz allem weitergeht. Natürlich drängt sich in solch einer Lebenssituation für einen Theologen wie Nikolaus Schneider die Geschichte von Hiob auf. Auch dort habe sich eine "grundlegende Form der Solidarität gezeigt: einfach da sein. Als die Freunde zu Hiob kamen, haben sie drei Tage geschwiegen." Nikolaus Schneider konnte diese Situation auf sein eigenes Umfeld übertragen.
Auch der Zweifel an Gott kann legitim sein
Aber natürlich gibt es keine Patentlösung, wie man Freunden, die Verluste zu überwinden haben, beistehen kann. Einen richtigen Ratschlag für Menschen, die in solchen Situationen eher Distanz suchen, hatte Samuel Koch auf Nachfrage von Pfarrer Neumeier nicht wirklich: "Das hängt immer stark vom Einzelfall ab." Er selbst macht Turnerkollegen, die sich nach seinem Unfall distanziert haben, keinen Vorwurf. Die Strategie in seinem Umfeld sah zum Teil anders aus. "Wenn ich damals in den Spiegel geschaut habe, war ich ein Häufchen Elend." Allerdings wollte er nicht nur Mitleid von seiner Umgebung. Seinen Freunden habe er damals - möglicherweise weniger vornehm ausgedrückt - gesagt: "Ihr habt die Lizenz zum Gesäßtritt!" Für Koch ist klar: "Es gibt auch eine gesunde Form von Ablehnung."
Das gilt auch und gerade in der Beziehung zu Gott. Klaus Neumeiers Frage, ob man zornig auf Gott sein dürfe, beantwortete Nikolaus Schneider definitiv mit Ja: "Das ist Ausdruck einer lebendigen Beziehung zu Gott. Ich weiß jetzt nicht wie Gott darüber denkt, aber meiner Erfahrung nach, auch aus biblischen Geschichten, hält er das durchaus aus." Und gerade im Hinblick auf den Tod seiner Tochter ist Nikolaus Schneider nicht im Reinen mit Gott: "Bis dahin hatte ich immer gesagt, Gott meint es doch überwiegend gut mit mir. Aber das ist so eine Geschichte, die ich nicht ganz verstehe." Seine Frau habe sogar für einige Zeit aufgehört zu beten, weil sie ein Stück weit das Vertrauen in Gott verloren habe, er selbst hat ein Verlangen danach Gott zur Rede zu stellen. "Wenn ich einmal vor ihm stehe, gehe ich getrost auf ihn zu und sage: Das war doch nicht nötig."
Denn auch der Zweifel an Gott ist legitim. Im Umgang mit Zweiflern an Gott hat der Schauspieler Samuel Koch viel Erfahrung. Er bewegt sich in einem Milieu, das dem Glauben nicht nahe steht. Dort stößt seine Lebensart durchaus auf Verwunderung: "Wie, Du hast nur eine Frau?" Das müsse man mit Toleranz nehmen, sagt Koch. Was ihm hilft, ist der Kontakt mit gläubigen Freunden und das gemeinsame Gebet, sei es auch am Telefon.
Zum Abschluss hatte das Publikum die Möglichkeit Fragen ans Podium auf Zetteln abzugeben: "Haben Sie sich schonmal gefragt ‘warum ich?’" Nikolaus Schneider konnte das nicht verleugnen, aber er meinte, diese Frage führe in eine Sackgasse. Er frage lieber: "Wozu ich?" Und so gewendet gibt es sowohl für ihn als auch für Samuel Koch durchaus Argumente, die ihren Schicksalsschlägen zumindest einen Sinn geben. Schließlich gehen beide offensiv mit dem Thema um und konnten mit ihren Büchern viele Menschen erreichen und ihnen helfen, eigene Schickssalsschläge zu verarbeiten. Das sahen auch die Besucher in Bad Vilbel so.