Heute kann Esther Sommerfeld klar sagen: "Ich bin keine Pfarrfrau mehr" - obwohl sie das zwei Jahrzehnte lang mit Freude und großem Engagement gewesen ist. Seit Aschermittwoch ist sie geschieden, hat ihren Mädchennamen wieder angenommen und heißt heute nicht mehr Lütgendorf. Das war ihr wichtig, denn es ist ein Schritt in die Richtung, sich ein anderes Leben aufzubauen – fern der Gemeinde Wülfrath-Düssel in Nordrhein-Westfalen, wo sie 14 Jahre als Pfarrfrau gewirkt hat. Sie hat sich in dieser Gemeinde sehr wohl gefühlt, Bibelhauskreise aufgebaut, Gemeindefreizeiten geplant und Kindergruppen geleitet. Alles ehrenamtlich und fast immer in Vollzeit, nur die letzten Jahre hatte sie nebenbei einen Mini-Job als Erzieherin in einer Grundschule. "Ich habe noch das traditionelle Bild einer Pfarrfrau gelebt. Ich hab's immer gern gemacht."
Doch dann, dreieinhalb Jahre ist es nun her, fand sie heraus, dass ihr Mann schon länger eine Affäre mit einer Frau aus dem Presbyterium ihrer Gemeinde hatte. Sommerfeld fiel aus allen Wolken. Erst recht, als ihr Mann ihr dann sagte, dass er sie verlassen werde. Sie und ihre zwei Kinder, 17 und 19 Jahre alt, zogen aus. In der Pfarrwohnung, also der Dienstwohnung, konnten sie schon allein aus kirchenrechtlichen Gründen nicht bleiben.
Warum auch immer, Sommerfeld kann es bis heute nicht begreifen: Die Gemeinde entschied sich, dass sie gerne ihren Pastor behalten wolle, inklusive neuer Freundin. Vielleicht weil er so ein begnadeter Prediger war? Seit ungefähr zehn Jahren ist es im Rheinland kirchenrechtlich möglich, dass ein Pfarrer bei Scheidung in seiner Gemeinde bleiben darf, wenn diese keine Einwände hat. Esther Sommerfeld hatte geglaubt, dass sie in ihrer früheren Gemeinde sehr beliebt sei, doch viele Menschen stellten sich gegen sie. In dem kleinen 20.000 Einwohner Ort Wülfrath wurde sie beispielsweise öfters auf der Straße gemieden. Noch heute schmerzt es.
"Die einzige Fürsorge, die ich von der Kirche erhalten habe, war, dass ich bei einer kirchlichen Beratungsstelle ein Gespräch hatte und noch mehr hätte haben können."
In der Gemeinde wurde schlecht über sie gesprochen: "Ich musste da raus", sagt Sommerfeld über ihre frühere Pfarrwohnung, die direkt über den Räumen der Gemeinde lag. Da die Waschmaschine im Keller stand, kam die Pfarrfamilie schon beim Wäschewaschen mit der Gemeinde in Kontakt - lediglich durch eine Glaswand im Treppenhaus getrennt. Diese zuvor so sehr geschätzte große Verwobenheit von Privatleben und Gemeinde wurde für Sommerfeld auf einmal zur Qual.
Auch bei der Landeskirche (EkiR) fand Sommerfeld wenig Unterstützung. "Die einzige Fürsorge, die ich von der Kirche erhalten habe, war, dass ich bei einer kirchlichen Beratungsstelle ein Gespräch hatte und noch mehr hätte haben können."
Die Gemeinde in Wülfrath-Düssel erlebte eine Spaltung. Manche Gemeindemitglieder konnten die Perspektive ihres Pfarrers akzeptieren - oder wollten zumindest nicht über ihn urteilen. Manche Gemeindemitglieder wollten die neue Frau an der Seite ihres Pfarrers nicht anerkennen - auch wenn aus der heimlichen Affäre eine Partnerschaft wurde. Die Gemeinde hat das Paar allerdings schließlich doch gewechselt, in der früheren konnte es keine stimmige Zusammenarbeit mehr geben.
Die Frauen leiden nicht nur am Scheitern ihrer Ehe
"Trennungen im Pfarrhaus gibt es mittlerweile fast so häufig wie in anderen Familien", sagt Renate Karnstein, sie ist seit neun Jahren die Vorsitzende des Pfarrfrauenbundes in Deutschland. Immer wieder finden Frauen in dieser schwierigen Lage die Telefonnummer von Karnstein im Internet und rufen bei der Pfarrfrau im ländlichen Holpe-Morsbach (Kirchenkreis An der Agger) an.
"Nach solchen Telefonaten muss ich mich häufig erstmal wieder sammeln", sagt Karnstein, die auch Theologin ist. Was die Frauen ihr erzählten, gehe ihr oft nah und mache sie betroffen. Bei einer Trennung, ganz besonders, wenn sie vom Mann ausgeht, leiden die Frauen nicht nur am Scheitern ihrer Ehe. Hinzu kommt, dass der Pfarrer in der Gemeinde bleiben könne und sie es ist, die das Pfarrhaus und die Gemeinde verlassen müsse. "Was mit den Frauen dann häufig passiert, ist, dass ihnen ihre Identität genommen wird. Sie haben nicht nur gerade den Mann verloren, sondern auch ihre Gemeinde, ihren Freundeskreis." Sie hadern in dieser Situation häufig mit ihrem Glauben und mit Gott.
Schade sei auch, berichtet Karnstein, dass die Frauen nach der Trennung ihren Gemeinden häufig fernblieben und so gar nicht bemerkten, wie sehr sie vermisst würden. Die Würdigung, die für die ehrenamtliche Tätigkeit einer Pfarrfrau häufig zu kurz kommt, wird von den getrennt lebenden Pfarrfrauen wiederum nicht erfahren.
Josephine Hörl ist im Leitungsteam der "Koordinierungsgruppe der Arbeitskreise für von Trennung und Scheidung betroffene Frauen von Pfarrern in der EKD". Dieser Zusammenschluss, meist selbst betroffener Frauen hat in seiner ausschließlich ehrenamtlichen Arbeit auch einen (kirchen-)politischen Anspruch, damit die schwierige Situation von Ex-Pfarrfrauen Gehör findet und sich hoffentlich in Zukunft bessert. Es gibt nämlich keine zentrale Stelle in der EKD, die sich um Anliegen dieser Art kümmert.
"Mit der Scheidung stehen die früheren Pfarrfrauen finanziell häufig sehr schlecht da", sagt Hörl. Insbesondere, wenn sie ehrenamtlich als Pfarrfrau jahrzehntelang quasi hauptberuflich gearbeitet haben, ohne offiziell ein Gehalt dafür zu bekommen. Dieses Engagement zahlt sich finanziell nicht aus. Denn, auch wenn es heute selten ist, dass Pfarrfrauen keine Ausbildung haben, verfügen sie in der Regel über wenig Berufserfahrung, mit der sie sich nach der Trennung auf einen Job bewerben können. Finanziell ganz schwierig wird es, wenn die geschiedene Frau über 55 ist und bisher über ihren Mann privat versichert war - in eine gesetzliche Krankenkasse kann sie in diesem Alter nicht mehr wechseln.
Es gibt keinen Fonds in der EKD, der die betroffenen Frauen finanziell unterstützt. "Wenigstens stellen einige Landeskirchen einen Etat für die Selbsthilfegruppen zur Verfügung", sagt Hörl aus Mutterstadt in Rheinland-Pfalz. "Und die meisten Landeskirchen leisten freiwillige Beiträge für die Arbeit der Koordinierungsgruppe." Sie bezahlten aber beispielsweise nicht die Umzugskosten der getrennten Pfarrfrauen – obwohl die des Pfarrers übernommen würden.
Neue Generation finanziell unabhängiger
"Auch für die Bedürfnisse der betroffenen Kinder wird zu wenig gesorgt", so Hörl. Ein Beispiel dafür ist, dass eine Pfarrfrau, mit dem Moment der Trennung von ihrem Mann, aufgrund der Residenzpflicht aus der Dienstwohnung ausziehen muss. Hörl kann von Fällen berichten, in denen die Frauen gezwungen waren, ihre Kinder beim Vater zurücklassen, weil sie auf die Schnelle keine geeignete Wohnung für sich und die Kinder gefunden hatten. Wenn der Pfarrer - häufig auch mit neuer Partnerin - in seiner Gemeinde bleibt und die Frau mit den Kindern ihre frühere Gemeinde verlässt, verlieren auch die Kinder, die manchmal durch frühere Ortswechsel ihres Vaters ohnehin belastet sind, ihre Heimatgemeinde, ihre Freunde dort, ihr vertrautes Umfeld.
Ansprechpartnerinnen für Frauen in derartigen Krisen gibt es bei den Pfarrfrauen-Vertretungen der Landeskirchen sowie im Pfarrfrauenbund. Die Vorsitzende Karnstein, Mutter von vier Kindern, hat den für sie selbst sehr bereichernden Weg des ehrenamtlichen Engagements im Kirchenkreis, der Landessynode und in der bundesweiten Pfarrfrauenarbeit gewählt. Die ausschließlich ehrenamtliche Tätigkeit von Pfarrfrauen ist inzwischen eher die Ausnahme. "Abgesehen davon, dass die Frauen gerne in ihren Berufen arbeiten, gibt es auch die Befürchtung, dass sie es sich nicht leisten können, nur von dem Pfarrersgehalt zu leben", sagt Karnstein. So ist abzusehen, dass die Pfarrfrauen der nächsten Generation großteils nach einer möglichen Scheidung zumindest finanziell etwas abgesicherter dastehen werden.
Sommerfeld hat es geschafft, einen Job zu finden. Sie arbeitet Vollzeit als Erzieherin. Sie ist zudem auf der Suche nach einer neuen geistlichen Heimat, denn ihren Glauben hat sie nicht verloren, wie sie sagt. Doch das ist schwer. Sie hat sich ein paar Gemeinden angeschaut, doch natürlich kennt sie dort so gut wie niemanden. Sie vermisst das Gefühl von Nähe und vertrauter Gemeinschaft, so wie sie es früher in ihren Gemeinden als Pfarrfrau erlebt hat. So wird es wohl nie wieder werden.