Sonntags sitzt Birgit Ehrhardt in der Kirchenbank, meistens in der fünften Reihe auf der linken Seite. So zwischen 50 und 150 Gemeindemitglieder kommen regelmäßig in den Gottesdienst der Gemeinde "Zur Heimat" in Berlin-Zehlendorf. Sie alle schauen dann zur Kanzel und lauschen der Predigt. Das Besondere für Birgit Ehrhardt ist dabei: Vorne im Talar steht ihr Ehemann. "Früher bin ich ganz aufgeregt gewesen, als Claas seine ersten Gottesdienste als Vikar gehalten hat." Heute ist sie in ihrer Rolle als Pfarrfrau jedoch ganz entspannt. "Wir sind schließlich schon seit 34 Jahren zusammen."
Ehrhardt sagt, sie kann mit Herz von sich behaupten, dass sie gerne an der Seite eines Pfarrers lebt. In ihrer jetzigen Gemeinde "Zur Heimat" fühlt sie sich als Gemeindeglied mehr als zu Hause. "Natürlich hätte ich meinen Mann auch geheiratet, wenn er etwas ganz anderes beruflich gemacht hätte." Doch als sie sich kennen gelernt hatten, sie war gerade 17, er 18 Jahre alt - und schon feststand, dass er Theologie studieren wolle, fand sie das gleich gut. "Mir ist der Glaube auch sehr wichtig im Leben und ich engagiere mich gerne ehrenamtlich in meiner Gemeinde. Mich hat auch die Residenzpflicht nicht abgeschreckt, ich finde es eigentlich ganz schön alle zehn Jahre einmal umzuziehen."
So könnte man meinen, dass die herzliche Frau, die viel lacht und Wärme ausstrahlt, es als Pfarrfrau immer gut hatte. Doch tatsächlich, als sozusagen frischgebackene Pfarrfrau, die mit ihrem Mann mitging, als er seine erste Stelle im brandenburgischen Neuhardenberg bekam, wurde sie dort auf der Straße einmal angespuckt. "Das war ein ganz roter Flecken da, voller Honecker-Anhänger, die waren auf Kirche gar nicht gut zu sprechen."
Zudem wurde in dieser dörflichen Gegend damals arg über sie gelästert, weil sie kurze lila Haare hatte. Birgit Ehrhardt weiß spätestens seither, dass es in den Köpfen einiger Menschen klare Vorstellungen davon gibt, wie eine Pfarrfrau zu sein hat. Bei einer späteren Pfarrstelle sei sie daher bewusst die ersten Monate immer mit Strickjacke rumgelaufen, um ihre Tätowierungen zu verbergen. Eine ältere Dame, die die Bilder auf dem Arm Monate später dann gesehen habe, meinte tatsächlich: "Das sind wirklich Tattoos? So ein Mist, jetzt mag ich sie bereits." Normalerweise, auf den ersten Blick, hätte diese ältere Dame eine Pfarrfrau mit Tattoos wohl eher abgelehnt.
Gleich einer Königin in ihrem Reich, habe die Pfarrfrau in der Gemeinde eine besondere Stellung
Wenn bei manchen Gemeindemitgliedern auch nicht gerne gesehen: Lila Haare, Piercing und Tattoos sind bei einer Pfarrfrau heute möglich. Vor einigen Jahrzehnten war es hingegen noch üblich, dass ein Pfarrer vor der Heirat seine Frau beim Konsistorium vorstellte, um die Zustimmung zur Trauung zu erlangen. Die Erhardts gingen zu diesem Termin einfach nicht hin, dies hatte dann auch keine weitere Konsequenz.
In einem Artikel über die "Freiheit und Unfreiheit im Leben einer Pfarrfrau" aus dem Jahr 1959 heißt es: "Wie viele junge Bräute, die sich einem Pfarrer vermählten, haben in Angst und Bangen sich gesagt: wenn es das nur nicht wäre: dieses schreckliche Exponiertsein vor allen Blicken, dieses Stehen im Zentrum der Aufmerksamkeit." Gleich einer Königin in ihrem Reich, habe die Pfarrfrau in der Gemeinde eine ganz besondere Stellung: wie sie sich kleide, wie sie spreche, ob sie hübsch sei, flink, adrett, wo sie einkaufe; dies und noch mehr sei alles von größtem Interesse für die Gemeinde, schrieb damals Prof. Dr. Hendrik Van Oyen in der "Zeitschrift für Evangelische Ethik". Wohl gesittet und fromm solle sie sein, die Pfarrfrau. Stets bedacht darauf, dass auch sie das Amt ihres Mannes repräsentiere.
Dieser öffentliche Druck sei heute viel weniger vorhanden, sagt Renate Karnstein, sie ist seit neun Jahren Bundesvorsitzende des Pfarrfrauenbunds. Sie denkt, das liege vor allem daran, dass die Kirche im Allgemeinen und im Zuge dessen auch das Pfarrhaus als Anlaufpunkt an Bedeutung verloren hat. Die Theologin beruft sich da auf die EKD-Mitgliedschaftsstudie aus dem Jahr 2014. "Diese Entwicklung bedaure ich sehr".
Allerdings weniger bedauert die Pfarrfrau aus Holpe-Morsbach (Kirchenkreis An der Agger), dass es das traditionelle Bild der Pfarrfrau heute so gut wie gar nicht mehr gibt. "Jede Frau, die mit einem Pfarrer verheiratet ist, finde da ganz individuell ihren Weg." Pfarrfrauen seien schließlich auch nur ganz normale Menschen, verschieden und einzigartig. Es sei wunderbar, wenn sich eine Frau je nach ihrem Talent und ihrer Begabung in einer Gemeinde einbringe, wenn sie das aber nicht wolle, müsse das auch respektiert werden. Die meisten Pfarrfrauen seien heutzutage nun mal auch in ihrem eigenen Beruf tätig.
Interessant ist auch, dass es seit ungefähr 30 Jahren immer mehr Pfarrerinnen gibt, die mit Männern verheiratet sind. Eine Anlaufstelle für diese Männer ist der Kreis "Pfarrfrauen und Pfarrmänner in der EKD". Karnstein, die sich in unterschiedlichen Gremien ehrenamtlich engagiert, auch als Landessynodale der Evangelischen Kirche im Rheinland, kann allerdings berichten, dass nur wenige Männer dieses Angebot wahrnehmen. "Ein gesellschaftliches Bild braucht Zeit, bis es entsteht, so kann es noch kein traditionelles Bild von 'Pfarrmännern' geben", sagt Karnstein.
"Es braucht Mut, sich gegen die Erwartungen einer Gemeinde zu stellen"
In Birgit Ehrhardts aktueller Gemeinde wurden bisher gar keine Anforderungen an sie gestellt. Sie arbeitet schließlich auch als Krankenschwester und hat drei Kinder groß gezogen. Dennoch, es ist ihr früher schon häufiger passiert, dass an sie wie selbstverständlich herangetragen wurde, dass sie doch beispielsweise den "Gebetstag für Frauen" vorbereiten oder ab nun das Kaffeekochen übernehmen könne. Sie sagt, zum Glück hatte sie schon immer die Stärke, sich da abzugrenzen. "Ich engagiere mich gerne, aber ich möchte mir schon aussuchen, was ich mache." Ehrhardt kann von einer anderen Pfarrfrau erzählen, dass diese sehr viele Aufgaben hätte, weil sie zu keiner Aufgabe "Nein" sagen könne. Es braucht eben Mut, sich gegen die Erwartungen einer Gemeinde zu stellen. Diese Problematik kennt auch Karnstein aus den Erzählungen vieler anderer Pfarrfrauen, wenn auch nicht von sich selbst.
Als Ehrhardt vor einiger Zeit von einem jungen Mann, dem Lebenspartner eines Pfarrers, gefragt wurde, wie sie es schaffe, ihrer Rolle als Pfarrfrau gerecht zu werden, hat sie gesagt: "Das Geheimnis ist, authentisch zu sein." Wenn die Menschen spüren, dass jemand ein freundlicher und herzlicher Mensch ist, dann sei es egal, ob man sich nun in der Gemeinde viel engagiere oder nicht.