Auf das starke Wahlergebnis der AfD reagierten viele Kirchenvertreter mit Kritik an der Partei. Der evangelische Theologe Ulrich H. J. Körtner findet, die Kirchen sollten sich stattdessen fragen, was sie selbst zum Erfolg der AfD beigetragen haben.
Statt jetzt nur ihre Abscheu gegenüber der Partei zu bekunden, "sollten sich die Kirchen selbstkritisch fragen, was sie möglicherweise selbst zum Wahlerfolg dieser unappetitlichen Partei beigetragen haben", indem sie die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) "vehement unterstützt und moralisch überhöht haben", sagte Körtner dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) betonte daraufhin, sie setze sich schon lange mit den Ursachen von Rechtspopulismus auseinander.
"Reflexhafte Aktionen 'gegen rechts' wie die Kölner Initiative 'Unser Kreuz hat keine Haken', mit denen Parteimitglieder und Sympathisanten unterschiedslos als verkappte oder offene Nazis denunziert wurden, waren in dieser Pauschalität unsachlich und politisch kontraproduktiv", kritisierte der evangelische Theologe. Zwar habe sich die AfD tatsächlich "von einer ursprünglich EU-kritischen zu einer nationalistischen, rechtspopulistischen Partei entwickelt, die in Teilen rechtsextrem ist und vor der sich die Kirchen aus guten Gründen distanzieren". Es bestehe aber die Gefahr, dass die gemäßigten politischen Kräfte und die Kirchen in Deutschland dieselben Fehler wiederholten, die in Österreich zum Aufstieg der FPÖ geführt hätten: "Bloße Ausgrenzung und Ächtung werden auch die AfD weiter stärken."
Ein Kirchensprecher sagte dem epd, die EKD setze sich "bereits seit langem differenziert mit den Ursachen von Rechtspopulismus auseinander": "Dabei hat sie sich - zuletzt mit EKD-Ratsmitglied Bischof Markus Dröge auf dem Kirchentag in Berlin - auch der direkten Diskussion mit Vertretern des Rechtspopulismus nicht verschlossen." Mit einem vor wenigen Wochen veröffentlichten Papier der Kammer für Öffentliche Verantwortung habe die EKD zudem "einen weiteren aktuellen Beitrag zur öffentlichen Diskurskultur unseres Landes geleistet".
In dem Ende August vorgestellten Papier mit dem Titel "Konsens und Konflikt: Politik braucht Auseinandersetzung" fordert die EKD zu mehr Beteiligung an der demokratischen Auseinandersetzung auf. Der Rat der EKD hatte die Kammer damit beauftragt, Gedanken zum Umgang mit Rechtspopulisten zu entwickeln. Aufgestellt werden zehn Impulse, unter anderem zur Streitkultur, zum Umgang mit Konflikten und der Rolle der Kirchen im demokratischen Dialog.
Körtner resümierte, wenn die Kirchen mit Menschen ins Gespräch kommen oder Menschen zurückgewinnen wollen, "die sich im eigenen Land wie auch in ihrer Kirche zunehmend fremd fühlen", sei es nötig, das eigene Auftreten und Agieren selbstkritisch zu überdenken.